Unbegleitete Minderjährige , Datum: 07.06.2023, Format: Artikel, Bereich: Asyl und Flüchtlingsschutz

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Im deutschen Asylverfahren gelten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren als minderjährig. Reisen diese ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedsstaat der EU ein oder werden dort ohne Begleitung zurückgelassen, gelten sie als Unbegleitete Minderjährige.

Erste Inobhutnahme und Erstscreening

Unbegleitete Minderjährige werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme werden sie bei einer geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung untergebracht.

Geeignete Personen können Verwandte oder Pflegefamilien sein, geeignete Einrichtungen sind in der Regel sogenannte Clearinghäuser, die auf die Betreuung von Unbegleiteten Minderjährigen spezialisiert sind, oder Jugendhilfeeinrichtungen. Sie sollen ein stabiles Aufwachsen der jungen Menschen sicherstellen.

Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme findet auch das sogenannte Erstscreening statt. Es stellt neben der allgemeinen Prüfung des Gesundheitszustands auch das Alter der Minderjährigen fest. Die dafür verwendeten Methoden reichen von einer reinen Altersschätzung über körperliche Untersuchungen bis hin zu radiologischen Untersuchungen. Darüber hinaus schätzt das zuständige Jugendamt ein, ob die Durchführung des späteren Verteilungsverfahrens in physischer oder psychischer Hinsicht das Kindeswohl gefährden könnte. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Verwandten geprüft. Bestehen enge soziale Bindungen zu anderen Unbegleiteten Minderjährigen, prüft das Jugendamt, ob eine gemeinsame Unterbringung sinnvoll ist.

Verteilung und weitere Inobhutnahme

Um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung der Unbegleiteten Minderjährigen sicherzustellen, gibt es ein bundesweites Verteilungsverfahren. Das Verteilungsverfahren wird innerhalb von 14 Tagen durchgeführt. Bei der Durchführung der Verteilung ist sichergestellt, dass die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zum zugewiesenen Jugendamt begleitet und einer Fachkraft dieses Jugendamts übergeben werden.

Nach dieser Verteilung ist das Jugendamt, dem die Minderjährigen zugewiesen wurden, für deren weitere Inobhutnahme zuständig. Auch hier werden diese entweder bei einer geeigneten Person – Verwandte oder Pflegefamilien – oder in einer geeigneten Einrichtung – zum Beispiel Clearinghäuser – untergebracht. Im Anschluss daran werden die Beantragung einer Vormundschaft, weitere medizinische Untersuchungen, die Ermittlung des Erziehungsbedarfs sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus veranlasst.

Im Clearingverfahren werden weitere Schritte im Bereich des Jugendhilferechts oder des Aufenthaltsrechts eingeleitet. Es umfasst unter anderem die Klärung des Aufenthaltsstatus. Auf dessen Basis wird entschieden, ob ein Asylantrag gestellt wird. Ist ein Asylverfahren nicht erfolgversprechend, können anderweitige Möglichkeiten zur Aufenthaltssicherung in Betracht kommen. Falls ein Asylantrag gestellt werden soll, ist das Bundesamt für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Bestellung eines Vormunds

Für unbegleitete Minderjährige muss eine wirksame Vertretung im Asylverfahren sichergestellt werden, dh., für unbegleitete Minderjährige ist ein Vormund zu bestellen. Wer zum Vormund bestellt werden kann, richtet sich nach § 1774 BGB. Daneben besteht außerdem die Möglichkeit, einen zusätzlichen Pfleger zu bestellen, wenn die Vormundschaft von einem ehrenamtlichen Vormund geführt wird und die Bestellung eines ergänzenden gesetzlichen Vertreters zum Wohl des Mündels, also der Person, die unter Vormundschaft steht, erforderlich ist. Wer die Vormundschaft letztendlich übernimmt, wird vom Familiengericht (Rechtspflegerverfahren) entschieden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. Die Vormundschaft richtet sich nach deutschem Recht, nicht nach dem Heimatrecht und endet daher mit Vollendung des 18. Lebensjahres.

Asylantragstellung

Innerhalb des Asylverfahrens gelten für die Bestimmung der Volljährigkeit die nationalen Vorschriften. Das heißt: unbegleitete Minderjährige müssen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ihren Asylantrag selbst stellen.
Asylsuchende unter 18 Jahren gelten im Rahmen des Asylverfahrens als nicht handlungsfähig, weshalb unbegleitete Minderjährige ohne rechtliche Vertretung keinen Asylantrag stellen können. Die Eltern können in der Regel die Personensorge für ihre Kinder nicht ausüben, so dass die rechtliche Vertretung bei unbegleiteten Minderjährigen für die Dauer des Aufenthalts in Deutschland – und damit auch für die Durchführung des Asylverfahrens – auf andere Weise sichergestellt sein muss.

Das Unionsrecht (Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU) stellt im Falle von unbegleiteten Minderjährigen besonders hohe Anforderungen an die Berücksichtigung des Wohls des Kindes. Danach ist im Asylverfahren die Vertretung und Unterstützung durch eine fachkundige und im Kindeswohlinteresse handelnde Person und/oder anwaltliche oder rechtsberatende Vertretung erforderlich. Aufgrund der Komplexität des Asylverfahrens und den an die unterschiedlichen Verfahrenshandlungen anknüpfenden Rechtsfolgen wird für das Asylverfahren deshalb die Bestellung eines Vormunds für erforderlich erachtet, der entweder selbst über asyl- und ausländerrechtliche Kenntnisse verfügt, um die Interessen des unbegleiteten Minderjährigen wirksam im Verfahren vertreten und die ggf. erforderlichen Rechtshandlungen vornehmen zu können oder für eine Interessenvertretung durch eine entsprechend fachkundige Person Sorge trägt.

Der Asylantrag muss vom Jugendamt oder Vormund bzw. vom zusätzlichen Pfleger schriftlich gestellt werden. Wird er von einem Vormund gestellt, muss eine sogenannte Bestallungsurkunde übersandt werden.

Kontakt

Schriftliche Asylanträge für Unbegleitete Minderjährige werden an die Außenstelle des Bundesamtes geschickt, die dem Wohnort des Unbegleiteten Minderjährigen am Nächsten liegt.

Hier finden Sie alle Standorte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Der schriftliche Antrag erfolgt formlos. Dennoch sind folgende Angaben zum Minderjährigen hilfreich, um die weitere Organisation des Verfahrens zu vereinfachen:

  • Name, Vorname
  • Geburtsdatum bzw. im Rahmen der Altersbestimmung festgelegtes Geburtsdatum
  • Staats-, Volks- und Religionszugehörigkeit
  • Geburtsort
  • Sprachkenntnisse
  • Falls möglich, das Datum der Einreise.

Anhörung und Entscheidung im Asylverfahren

Da Unbegleitete Minderjährige als besonders schutzbedürftige Personengruppe mit besonderen Garantien für ihr Asylverfahren gelten, werden ihre Asylverfahren von Sonderbeauftragten betreut, die für eine sensibilisierte Herangehensweise geschult wurden. Denn ihr Verfolgungsschicksal und ihre Fluchterfahrung erfordern eine besondere Rücksichtnahme.

Zu diesen Verfahrensgarantien gehört zum Beispiel die Bestimmung, dass die Anhörungen erst nach einer vorangegangenen Vormundbestellung und grundsätzlich in dessen Anwesenheit stattfinden. Zusätzlich kann auch ein Beistand, z. B. eine Betreuerin oder ein Betreuer bei den Anhörungen anwesend sein. Diese können sich im Verlauf der Anhörungen auch zum Einzelfall äußern bzw. Fragen an die Unbegleiteten Minderjährigen, die für das Asylverfahren von Bedeutung sind, stellen.

Bei den Anhörungen wird ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, ob Anhaltspunkte für bestimmte, kinderspezifische Fluchtgründe vorliegen. Kinderspezifische Fluchtgründe sind zum Beispiel Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung, häusliche Gewalt, Menschenhandel sowie die Zwangsrekrutierung als Kindersoldat.

Auf Grundlage der Anhörung wird eine Entscheidung über den jeweiligen Asylantrag getroffen. Dieser Bescheid wird anschließend dem Vormund oder der Rechtsanwältin bzw. dem Rechtsanwalt zugestellt.

Rechtliche Grundlagen

  • Bei der Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, wird die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 berücksichtigt. Hierzu gehört etwa Art. 24 Aufnahmerichtlinie "Unbegleitete Minderjährige".
  • Die vorläufige Inobhutnahme der Kinder und Jugendlichen durch das Jugendamt wird in §§ 42 a – f Sozialgesetzbuch VIII geregelt, die Inobhutnahme in § 42 Sozialgesetzbuch VIII. Die Aufgaben des Vormundes werden durch § 27 SGB VIII bestimmt.

    Unterbringung, Versorgung – hierzu gehört auch die sozialpädagogische Begleitung und Betreuung, Gesundheitsversorgung sowie Rechtsberatung – werden durch die Leistungen des SGB VIII sichergestellt. Bei Eintritt in die Volljährigkeit können Leistungen weiter gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation notwendig ist. In der Regel erlischt jedoch die Leistungsabdeckung durch das SGB VIII mit der Volljährigkeit.

    SGB VIII

  • Laut dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch unterliegt die Geschäftsfähigkeit einer Person dem Recht des Staates, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 7 EGBGB). Die Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft ist in diesem Zusammenhang in Art. 24 EGBGB geregelt.
  • Die Besonderheiten bei der Durchführung der Verfahren für besonders schutzbedürftige Personengruppen sind in der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) vom 20. Juni 2013 aufgeführt. Die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 enthält z.B. die Definition "Unbegleiteter Minderjähriger" in Art. 2 lit. l.
  • Zum Asylverfahren und zum Aufenthaltsrecht bei Asylsuchenden gelten die folgenden nationalen Vorschriften:

    Asylgesetz

    Aufenthaltsgesetz

    Für Unbegleitete Minderjährige sind unter anderem im Asylverfahren für die Antragstellung § 12 und § 14 AsylG maßgeblich.

  • § § 1773, 1774, 1776, 1806 BGB