Nähe trotz Distanz:
Ramadan in Zeiten von Corona
, Datum: 15.05.2020, Format: Meldung, Bereich: Integration

Die Einschränkungen, die aufgrund der Corona-Pandemie gelten, wirken sich auch auf den muslimischen Fastenmonat Ramadan aus, der am 23. Mai endet. Auch die Arbeit der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD) ist von den Maßnahmen betroffen.

Alexander Amir Fahim leitet das TGD-Projekt "Muslimische Vielfalt im Gespräch", das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kofinanziert wird, und gibt Einblicke, wie Ramadan und Projektarbeit in Zeiten von Corona umgesetzt werden.

Gemeinsame Gebete und das allabendliche Fastenbrechen können in diesem Jahr nur im sehr kleinen Kreis stattfinden. Dabei ist gerade der Gemeinschaftsaspekt an Ramadan für viele Musliminnen und Muslime von großer Bedeutung. Wie gehen die Mitglieder der Türkischen Gemeinde Deutschlands mit diesen Einschränkungen in der Ramadan-Zeit um? 

Amir Alexander Fahim: Die TGD ist ein säkularer, weltanschaulich neutraler Verein. Deshalb vertreten wir Menschen völlig unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Sichtweisen. Darunter sind aber natürlich auch viele religiöse Musliminnen und Muslime.

Grundsätzlich kann man aber sicher sagen, ob religiös oder nicht – jeder Mensch versucht sich an die Situation anzupassen und neue Wege zu gehen. Das Stichwort Digitalisierung spielt da natürlich auch in Bezug auf Ramadan in der aktuellen Situation eine Rolle. So kann man beispielsweise den Opa beim Fastenbrechen per Video-Anruf hinzuholen, um ihm in dieser Zeit der Distanz nah zu sein. Einige Moscheen bieten zudem digitale Angebote wie Fragenstunden, Vorträge oder Live-Streams für gemeinsame Gebete. Das ist sicher auch für viele Menschen eine Möglichkeit, in diesen Zeiten Nähe und Gemeinschaft zu erfahren.

Einige Medien schreiben bedingt durch die geltenden Einschränkungen von einem "traurigen Ramadan" oder von "getrübter Stimmung". Wie empfinden Sie das?

Amir Alexander Fahim: Die Zeit ist wahrscheinlich für alle Menschen eher bedrückend und verlangt von jedem viel ab – unabhängig von der jeweiligen Religiosität. Vielleicht kann man sagen, dass die Zeiten gerade etwas traurig und betrübt sind, aber ob dadurch auch der Ramadan betrübt sein muss, muss jeder für sich entscheiden.

Was aber klar wird, ist, dass die aktuelle Zeit auch Potential bietet, um Werte wie Solidarität, Nachbarschaftshilfe und Mitgefühl zu leben – noch viel mehr als vielleicht sonst. Und dies ist gerade auch für viele Musliminnen und Muslime im Ramadan von großer Bedeutung. Skypen mit Verwandten, Einkäufe für andere erledigen oder für Menschen sorgen, die gerade einsam sind – dieses gesellschaftliche Engagement ist zwar schon immer da, es zeigt sich nun während des Ramadans aber nochmal deutlicher. Wir als TGD freuen uns darüber sehr.

Die TGD ist in der Projektarbeit sehr aktiv, sicher waren auch für dieses Jahr noch Treffen und Veranstaltungen geplant. Sie selbst leiten das Projekt "Muslimische Vielfalt im Gespräch". Nun musste durch die Corona-Einschränkungen allerdings vieles umgeplant oder gar abgesagt werden. Wie gehen Sie in der TGD grundsätzlich damit um?

Amir Alexander Fahim: Beim Einzelprojekt "Muslimische Vielfalt im Gespräch" stehen eigentlich Austausch und Begegnung im Fokus, mit dem Ziel, Vorurteile abzubauen. Das gemeinschaftliche Gespräch ist natürlich momentan sehr schwierig. Doch wir wollten uns nicht damit zufriedengeben, nur auf Video-Konferenzen umzusteigen: Deshalb nutzen wir die Krise nun, um dem Projekt eine komplett neue digitale Strategie zu geben. Wir arbeiten gerade an spannenden und innovativen Formaten, die einen partizipativen Charakter haben und das "Menscheln" trotz der aktuellen nötigen Distanz fördern.

Auf Arbeitsebene stand für uns natürlich zunächst der Schutz der Mitarbeitenden im Vordergrund und so haben wir soweit möglich auf Home Office umgestellt. Zudem haben wir als TGD unsere Netzwerke genutzt, um die notwendigen Hygiene- und Abstandsregelungen frühzeitig darüber zu kommunizieren und so die Gemeinschaft zu sensibilisieren. Auf diesem Weg haben wir beispielsweise Teile der Türkischen Community oder Geflüchtete erreicht, weil wir die Maßnahmen in türkischer Sprache oder auf Augenhöhe weitergeben konnten.