"UNHCR und BAMF sind eng verzahnt" , Datum: 26.07.2021, Format: Meldung, Bereich: Asyl und Flüchtlingsschutz

Im Interview sprechen die Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland, Katharina Lumpp und der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Dr. Hans-Eckhard Sommer, über ihre Zusammenarbeit im Bereich des Flüchtlingsschutzes. Katharina Lumpp ist seit 27 Jahren für den UNHCR tätig und seit Januar 2021 Vertreterin in Deutschland.

Herr Dr. Sommer, die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bildet die Grundlage für den Flüchtlingsschutz weltweit. Wie sehen Sie die Relevanz und auch die Herausforderungen in der aktuellen Zeit vor allem in Deutschland?

Hans-Eckhard Sommer: Die Genfer Flüchtlingskonvention ist der Kern des Flüchtlingsschutzes, der inzwischen auch durch europäisches und deutsches Recht gewährleistet ist. Seit dem letzten Jahr haben wir pandemiebedingt im Flüchtlingsschutz erhebliche Beeinträchtigungen, beispielsweise durch Reisebeschränkungen. Dies führte dazu, dass die Asylantragszahlen 2020 deutlich zurückgegangen sind. Wir hatten zunächst auch Schwierigkeiten, die Asylverfahren nach infektionsschutzrechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. Wir mussten einerseits für den Gesundheitsschutz unserer Mitarbeitenden – und natürlich auch dem der Antragstellenden und Dolmetschenden – sorgen und trotzdem die Verfahren weiterbringen. Mit Ausnahme des März 2020, wo es einen Verfahrensstopp gab, haben wir weiter Asylverfahren durchgeführt. Das war mir sehr wichtig, denn wir können nicht einfach die Verfahren aussetzen und abwarten, dafür dauert die Pandemie zu lange.

Frau Lumpp, wie sieht der weltweite Blick aus?

Katharina Lumpp: Die GFK schützt seit 70 Jahren Flüchtlinge und ist der Konsens aller Staaten, auch derjenigen, die sie nicht unterzeichnet haben. Dies zeigt sich an der Unterstützung des Globalen Paktes für Flüchtlinge, der sich auf die GFK stützt und von der UN Generalversammlung verabschiedet wurde. Sie ist der Kern des internationalen Flüchtlingsschutzes und die Basis für viele regionale Instrumente, die den Flüchtlingsbegriff ergänzt und erweitert haben. Inzwischen haben 149 Staaten die Konvention oder ihr Protokoll oder beide ratifiziert. Das sind dreiviertel aller Staaten dieser Welt. Die völkerrechtliche Relevanz ist damit sehr groß. Die GFK ist außerdem relevant, weil sie noch nie so viele Menschen geschützt hat wie heute. Gleichzeitig steht sie unter Druck. Zusätzlich zu den praktischen und tatsächlichen Herausforderungen, die sich in einer Pandemiesituation stellen, steht sie unter Druck durch Pushbacks an Grenzen, ohne die Berücksichtigung und Überprüfung des individuellen Schutzbedarfes, oder Versuche, die eigene Verantwortung an andere Länder auszulagern. Notwendig wären eine größere internationale Zusammenarbeit, Verantwortungsteilung und Solidarität. Deshalb ist es wichtig, vermehrt auch die Erfolge und Errungenschaften in den Vordergrund zu stellen.

Herr Dr. Sommer, die Welt hat sich in den letzten 70 Jahren stark verändert. Ist die GFK ganz generell noch auf der Höhe der Zeit?

Sommer: Ja, das ist unzweifelhaft so. Wir haben es nach wie vor weltweit mit großen Fluchtbewegungen zu tun. Es ist wichtig, dass die Genfer Flüchtlingskonvention weiterhin von den Staaten akzeptiert und angewendet wird. Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt für politische Flüchtlinge. Wir stellen aber fest, dass viele Menschen aus anderen Gründen zu uns kommen, ohne diese Voraussetzung zu erfüllen. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird von ihnen benutzt, weil sie sich auch auf die GFK-Verfahren berufen. Eventuell ist zu überlegen, wie die Akzeptanz bei den Staaten erhalten bleiben kann. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein unmittelbares Menschenrecht, sie zu bewahren, ist enorm wichtig.

Lumpp: Die Konvention regelt die Definition und die Rechtstellung des Flüchtlings. Internationale Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz ist zwar in der Präambel angesprochen, aber nicht ausgestaltet. Deshalb liegt eine große Herausforderung ihrer Umsetzung in der internationalen Verantwor-tungsteilung: Solidarität mit Flüchtlingen und Solidarität mit den Aufnahmeländern, die unter Druck geraten. Sieben von zehn Flüchtlingen weltweit bleiben in den unmittelbaren Nachbarländern. Weltweit nehmen nur zehn Länder, darunter Deutschland als einziges sogenanntes westliches Industrieland, rund 66 Prozent der Flüchtlinge auf. Wir brauchen also eine bessere Verantwortungsteilung. Das ist das Ziel des Globalen Pakts für Flüchtlinge, der 2018 von 181 Staaten in der UN-Generalversammlung als politisch verpflichtend angenommen haben. Der Pakt hat zum Ziel, dass die Verantwortungsteilung international verbessert wird, indem Aufnahmeländer unterstützt werden, in die Eigenständigkeit der Flüchtlinge investiert wird und Resettlement für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge ausgeweitet wird.

Frau Lumpp, es gibt immer mal wieder Forderungen, die GFK zu ändern. Deckt die GFK den bestehenden Bedarf an Flüchtlingsschutz hinreichend ab?

Lumpp: Sie sollte vor allem unangetastet bleiben. Es ist wichtig, ihre Bestimmungen mit Leben zu füllen. Die GFK ist aus den Erfahrungen mit Verfolgung vor und während des Zweiten Weltkrieges, insbesondere in Deutschland, und den Schwierigkeiten Zuflucht zu finden entstanden. Im Fokus liegt, dass jemand, der schutzbedürftig ist, Zugang zu Schutz und Recht bekommt. Ich denke, am Grundkonzept der Konvention sollte auf keinen Fall gerüttelt werden. Stattdessen sollte es Ländern mit weniger Ressourcen durch internationale Zusammenarbeit ermöglicht werden, sie weiterhin vollständig umzusetzen.

Herr Dr. Sommer, Frau Lumpp: Das BAMF und der UNHCR sind die beiden Mandatsträger des GFK. Sie setzen den Auftrag der GFK um und arbeiten eng zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Sommer: Wir sind seit Jahren in sehr engem Kontakt mit dem UNHCR Deutschland, nicht zuletzt über dessen Büro in Nürnberg, welches sich mit dem Bundesamt in einem Gebäude befindet. Zudem haben wir vor zwei Jahren eine Rahmenvereinbarung zu unserer Zusammenarbeit geschlossen. Heute haben wir uns beide zum Beispiel mit Abteilungsleitungen aus meinem Haus ausgetauscht. Dabei hat sich wieder gezeigt, dass wir in vielen Details und vielen Fachfragen eng verzahnt sind, von der Qualitätskontrolle in den Asylentscheidungen bis zur Asylverfahrensberatung, bei denen wir größten Wert auf die Expertise des UNHCR legen. Das wollen wir gerne fortsetzen und deswegen ist es auch unser Wunsch, dass der UNHCR das Büro in Nürnberg aufrechterhalten kann. Natürlich muss eine internationale Organisation auf den Einsatz ihrer Finanzmittel achten, aber wir würden uns darüber sehr freuen, weil wir uns als Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – als Europas größte Flüchtlingsbehörde – dem UNHCR sehr eng verbunden fühlen.

Lumpp: Ich kann das nur bestätigen. Die Ursprünge unserer Zusammenarbeit gehen auf die Genfer Flüchtlingskonvention zurück. Deutschland gehört zu den ersten sechs Signatarstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Vertragsstaaten verpflichten sich zur Zusammenarbeit mit dem UNHCR und erleichtern uns unsere Aufgabe, die Einhaltung der Konvention zu beobachten. Für uns bedeutet das natürlich, dass wir sehr eng mit der Behörde zusammenarbeiten, die Entscheidungen auch auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention trifft. Der enge Austausch ist uns dabei wichtig, weshalb der UNHCR seit 1953 ein Verbindungsbüro zur Asylbehörde in Deutschland betreibt. Nur zwei Jahre nach der Verabschiedung der GFK haben wir also bereits in Deutschland eines der ersten Büros weltweit aufgemacht. Wir begleiten und unterstützen die Arbeit des Bundesamtes von Anfang an aus der Perspektive des internationalen Flüchtlingsrechts. Das hat sich über die Jahre in viele andere Bereiche ausgedehnt, zum Beispiel bei Schulungen zu Herkunftslandinformationen und Einschätzungen zu Fragen der Auslegung der Flüchtlingsdefinition.

Dieser Austausch ist uns sehr wichtig, auch weil Deutschlands Asylpraxis und Anwendung eine große und, wie wir finden, positive Strahlwirkung außerhalb Deutschlands hat und Standards setzt. Ein ganz wichtiger Bereich, der in den letzten Jahren dazugekommen ist, ist die Zusammenarbeit im Bereich Resettlement.

Das ist ein ganz praktisches Beispiel für die Zusammenarbeit. Herr Dr. Sommer können Sie kurz erläutern, wer wird im Rahmen des Resettlement-Programms aufgenommen und warum?

Sommer: Resettlement ist aus meiner Sicht die bessere Alternative zum Asylverfahren, weil wir die Schutzbedürftigen praktisch dort abholen, wo sie sich aufhalten. Ein langer gefahrvoller Weg nach Deutschland oder ein anderes europäisches Land entfällt und die Aufnahme erfolgt in einem geordneten Verfahren. Deswegen ist es meines Erachtens die Zukunft. Das Verfahren läuft so, dass im Bundesministerium des Innern entschieden wird, aus welchen Staaten Deutschland Aufnahmen vornimmt und das BAMF setzt dies dann um. Die Aufnahmeanordnungen führen uns immer ins Ausland und dazu brauchen wir die Unterstützung des UNHCR, mit seiner Kompetenz vor Ort. Dessen Mitarbeitende in den verschiedenen Ländern können das Aufnahmeverfahren über die Auswahl der betreffenden Personen ganz entscheidend mitgestalten und mitbetreuen. Wir selbst sind teilweise auch mit Mitarbeitenden vor Ort, ebenso die Sicherheitsbehörden vor Ort. Momentan finden Aufnahmen von syrischen Geflüchteten aus der Türkei, im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens oder auch von 100 Personen aus Niger statt. Eine zweite Gruppe aus Niger wird im Laufe des Jahres eintreffen. Andere Länder, aus denen wir Menschen aufnehmen, sind: Libanon, Ägypten, Jordanien oder Kenia. Welche Länder infrage kommen, wird auf politischer Ebene entschieden. Wir sind die Behörde, die den Vollzug organisiert. Das reicht vom Flug nach Deutschland bis zur Erstaufnahme, bei der uns meist ein Bundesland unterstützt. Zurzeit vor allem Niedersachsen mit seinem Grenzdurchgangslager Friedland. Nach einer kleinen Eingewöhnungsphase werden die Menschen dann auf die Bundesländer verteilt.

Frau Lumpp, macht Deutschland beim Resettlement genug?

Lumpp: Wir begrüßen es sehr, dass Resettlement zu einem festen Bestandteil deutscher Flüchtlingspolitik geworden ist. Das war nicht immer so. Resettlement ist und bleibt ein ganz wichtiges Schutzinstrument für die klar definierte Gruppe besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, die in dem Erstaufnahmeland, in dem sie sich befinden, weder versorgt noch hinreichend geschützt werden können. Es ergänzt den spontanen Zugang zu Schutz. Es sind immer viel zu wenig Aufnahmeplätze vorhanden. Deshalb würde es uns freuen, wenn Deutschland dieses Programm weiter ausbauen könnte. Es ist außerdem ein wichtiges Signal der Solidarität mit Aufnahmeländern, die in der Regel sehr viel weniger Ressourcen haben als Deutschland oder andere europäische Länder.

Das Interview mit Dr. Hans-Eckhard Sommer und Katharina Lumpp führte Ayse Ugurlu-Schreiber (BAMF).