BAMF-Newsletter Nr. 09/2020 ,
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
was bedeutet eigentlich Demokratie? Rein wissenschaftlich könnte man es zwar nicht unbedingt kurz, aber dennoch eindeutig abhandeln, zumindest für jede einzelne der jeweils unterschiedlichen Formen von Demokratie. Das bedeutet, dass man auch wunderbar und abendfüllend darüber diskutieren kann, welche Merkmale zutreffen müssen und welche eher im Hintergrund stehen könnten.
Bisweilen wird sogar heftig darüber gestritten, welchen Staat oder welche Staatsform man als demokratisch bezeichnen sollte und welchen eher nicht. Und inzwischen gibt es in Deutschland einige Menschen, die vorgeben, für ihre Bürgerrechte einzutreten – ein im demokratischen Staatswesen wichtiger Aspekt, laufen mit Fahnen aus dem Kaiserreich durch die Straßen. Jenes Kaiserreich, deren Monarch sich selbst als Souverän ansah und der für gewählte Volksvertreter, zum damaligen Zeitpunkt ausnahmslos Männer, nur Verachtung zu bieten hatte – selbst die Bezeichnung "Reichsaffenhaus" soll er dem Parlament gegeben haben, auch wenn dies nicht tatsächlich belegt ist.
Aber eine gute und funktionierende Demokratie muss auch dieses Verhalten ihrer Kritiker ertragen können. Pluralismus ist ein sehr wichtiges Merkmal und bedeutet, dass Demokratie eben mehr ist als die Herrschaft der Mehrheit. Es geht nicht nur um Sieg oder Niederlage bei Wahlen, sondern darum, wie die Meinungen von Minderheiten bis zu den nächsten Wahlen berücksichtigt werden können.
Worüber man also mehr als nur abendfüllend diskutieren kann, versucht der Bremer Jugendring den Menschen näher zu bringen, die nicht in einer Demokratie aufgewachsen sind und friedliche Diskussionen für politische Lösungen bislang nicht gewohnt waren. Das vom Bundesamt geförderte Projekt "Spot on democracy" ist für junge Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund gedacht, die in Freiheit leben und diese hier erworbene Freiheit auch verteidigen wollen – mit Worten, nicht mit Waffen.
Besonders berührt in diesem Bericht hat mich ein Zitat von Katharina Teiser aus dem Projektteam: "Es ist ein Geschenk, dass wir hier in so einem System leben können." Wir alle sollten uns jeden Tag dessen bewusst sein und mit diesem Geschenk so verantwortungsvoll und vorsichtig umgehen, als wäre es ein neugeborenes Kind. Es ist auf dieser Welt leider nicht selbstverständlich, so frei leben zu können wie hier in unserem Land. Und vielleicht brauchen wir gerade die Menschen aus weniger demokratischen oder autokratischen Ländern, die bei uns Zuflucht bekommen, um uns täglich in Erinnerung zu rufen, welche Anstrengungen und welche Entbehrungen nötig waren, bis wir diese funktionierende Demokratie endlich in den Händen halten konnten. Auf jeden Fall, bevor wir sie zu leichtfertig aus den Händen geben.
Herzlichst
Jochen Hövekenmeier
Pressesprecher des BAMF