Digital und vor Ort die neue Heimat erkunden , Datum: 15.03.2022, Format: Meldung, Bereich: Integration , BAMF fördert Modellprojekt "DIG.IT – Zusammenhalt trotz Distanz"

"Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken trotz Distanz": Unter diesem Thema fördert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) insgesamt vier überregionale Modellprojekte. Alle zeichnen sich durch einen neuen und wirkungsorientierten Ansatz aus – und sollen auch nach der Pandemie die Integrationsarbeit bereichern. Das Projekt "DIG.IT – Zusammenhalt trotz Distanz" ist eines davon. Bei dem Projekt des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland e.V. (CJD) erstellen junge Menschen mit Migrationshintergrund mit einer App eigene Stadtrundgänge und Handy-Rallyes für Smartphone und Tablet.

Ola Ayoub steht auf dem Hansaplatz in Hamburg St. Georg. Die 22-Jährige blickt den 17 Meter hohen, zentralen Brunnen des Platzes hinauf, der von der Hansa gekrönt wird. Die Statue der weiblichen Symbolfigur soll die Macht des Hansebundes darstellen, ein Sinnbild der Stärke. Ayoub ist beeindruckt von der Figur.

Vor knapp zwei Jahren ist die junge Frau mit ihrer Familie vor dem Krieg in Syrien geflohen. Neben Ayoub steht Maram Mohammad (24). Sie stammt ebenfalls aus Syrien. Beide haben an dem Projekt "DIG.IT – Zusammenhalt trotz Distanz" teilgenommen. Es ist eines von insgesamt vier Modellprojekten, die das BAMF zum Thema "Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken trotz Distanz" fördert.

Mit einer App haben die Teilnehmenden mit ihren Smartphones einen digitalen und interaktiven Rundgang durch den Stadtteil erstellt – sogenannte Bounds. Dafür haben sie den Stadtteil St. Georg erkundet, interessante Orte fotografiert oder gefilmt, Hintergründe im Netz recherchiert, Menschen befragt, Texte geschrieben und Fragen für zukünftige Spielende ihrer Tour entworfen. Herausgekommen ist eine frei zugängliche digitale Rallye zur Erkundung des Stadtteils, mit Navigation, Quizfragen und Punktesystem.

Wissen vermitteln, Perspektive wechseln

"Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erweitern durch die Arbeit mit der App ihre digitalen Fähigkeiten und ihre Medienkompetenz. Sie erleben Selbstwirksamkeit und treten mit anderen in Kontakt", erklärt Iris Dähnke vom Jugendmigrationsdienst des CJD in Hamburg. Der gemeinnützige Träger bietet das Projekt bundesweit an fünf verschiedenen Orten an. Neben Hamburg sind das Oldenburg, Friedrichshafen, Berlin und Wolgast. Häufig kooperiert das CJD dabei mit Schulen und Sprachkursträgern.

 Ein Mann und eine Frau stehen auf einer Straße und schauen gemeinsam in ein Handy. Die von den Projektteilnehmenden erstellten Bounds kann jede und jeder nutzen – derzeit bundesweit an fünf verschiedenen Orten. Quelle: Adobe Stock | JackF

Die Teilnehmenden arbeiten in kleinen Gruppen an ihren Bounds. Sie stellen in der App Orte vor, die sie kennen und die ihnen etwas bedeuten – und sie lernen neue Orte kennen. Weil sie ihr Wissen an andere vermitteln, wechseln sie die Perspektive und reflektieren über die Werte des Zusammenlebens. Ist der Bound fertig, profitieren viele nach ihnen davon, indem sie die App nutzen.

"Die meisten der vorgestellten Orte haben wir selbst ausgewählt", sagt Maram Mohammad. Trotz der durch Corona erzwungenen physischen Distanz vertiefen die Teilnehmenden so ihre Beziehung und Identifikation mit ihrem Stadtteil und ihrer Stadt. Und wenn sie erst kürzlich angekommen sind, mit ihrer neuen Heimat. So wie Ola Ayoub, Maram Mohammad und die anderen Teilnehmenden in Hamburg St. Georg. Sie verbindet zudem, dass sie alle einen Integrationskurs in dem Stadtteil besucht haben.

Restaurants, Ruhe und Regenbogenfarben

St. Georg ist ein buntes, vielfältiges Quartier. Das Viertel hinter dem Hamburger Hauptbahnhof liegt nur wenige Schritte entfernt von der Alster, ist die Hochburg der Hamburger LGBTQ+-Community, zeichnet sich durch einen hohen Anteil von Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationshintergrund aus und beherbergt zahlreiche Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Moscheen. Außerdem laden viele spezielle Restaurants und Geschäfte nach St. Georg ein.

Die Teilnehmenden konnten einiges neu entdecken. Zum Beispiel gibt es hier eine Ampel, die ein homosexuelles Pärchen abbildet – sowie Fußgängerüberwege in Regenbogenfarben, sagen die jungen Frauen. Auch der Mariendom unweit des Hansaplatzes war für sie neu. Maram Mohammad und Ola Ayoub waren vorher noch nie in einer Kirche. "Wir mochten die Ruhe dort sehr gerne".

Bei der Erarbeitung der Stadtteilrallye haben die Teilnehmenden auch vieles über sich selbst erfahren. "Anfangs war ich sehr schüchtern, dann habe ich das überwunden und gelernt, andere Menschen anzusprechen", sagt Ola Ayoub. "Das will ich unbedingt fortsetzen." Die Hansastatue in St. Georg, ein Symbol für Stärke, ist hier vielleicht auch ein gutes Vorbild.

Text: Klaus Sieg