Warum Deutschland? , Datum: 01.12.2013, Bestellnummer: FFFB19, Format: Forschungs­bericht, Bereich: Behörde

Zielstaatsentscheidungen von Asylsuchenden müssen als mehrstufige, komplexe Entscheidungsprozesse verstanden werden. Dabei interagieren mehrere Faktoren, die je nach Situation unterschiedliches Gewicht haben. Selbst wenn vor Beginn der Migration eine Zielstaatsentscheidung vorliegt, ist nicht gewährleistet, dass diese auch umgesetzt werden kann. Der Handlungsspielraum von Asylsuchenden ist in der Regel begrenzt. Durch „Zufallskonstellationen“ (z.B. Aufgriff durch Sicherheitsbehörden oder situativ veränderte Zielentscheidungen durch Schleuser) wird gegebenenfalls ein anderer Zielstaat erreicht als ursprünglich geplant.

Eine bewusste Wahl eines Zielstaats findet in Abhängigkeit von den individuellen Bedürfnissen des Asylsuchenden statt (Suche nach politischer, ökonomischer, religiöser, medizinischer oder sonstiger Sicherheit).

Neben der individuellen Herkunftssituation bilden Netzwerke von Migranten den wichtigsten strukturellen Faktor: Die meisten Asylsuchenden gehen dorthin, wo bereits Kontakte und Anknüpfungspunkte bestehen. Dabei kann es sich unmittelbar um Familien und Bekannte handeln, aber auch allgemein um Diasporagemeinden.

Schlepper- und Schleusernetzwerke beeinflussen die Zielwahl von Asylsuchenden in zweierlei Hinsicht: Erstens stellen sie die notwendige Infrastruktur für die Organisation bzw. Durchführung einer Migration nach Europa und Deutschland zur Verfügung. In Abhängigkeit von ihren Gelegenheitsstrukturen können sie situativ die Zielwahl beeinflussen oder diese sogar selbst treffen. Zweitens sind sie wichtige Informationsgeber und steuern bis zu einem gewissen Grad gezielt das verfügbare Wissen zu potenziellen Zielstaaten.

Wissen ist von zentraler Bedeutung, weil es den individuellen Handlungsspielraum absteckt. Die Informationslage über potenzielle Zielstaaten in Europa ist allerdings unterschiedlich gut. Informationen, die über Netzwerke und Schleuser transportiert werden, können verzerrt sein, werden durch „Mundpropaganda“ während der Migration ergänzt und auch durch Informationen über Medien bzw. das Internet nicht unbedingt korrigiert.

Aufgrund der eingeschränkten Wissenslage wirken nach Auffassung der befragten Experten asyl- und flüchtlingspolitische Regelungen nur eingeschränkt.

Verfasserin der Studie: Dr. Antonia Scholz