Dossier: Freiwillige Rückkehr und Reintegration , Datum: 22.10.2020, Format: Dossier, Bereich: Rückkehr

"Wir unterstützen Rückkehrende dabei, ihre eigene Perspektive zu entwickeln" , Datum: 22.10.2020, Format: Meldung, Bereich: Rückkehr

Weil Migrationssteuerung aktive Rückkehrpolitik braucht, unterstützen Bund und Länder seit 1979 mit dem humanitären REAG-Programm (Reintegration and Emigration Programme for Asylum Seekers in Germany) Menschen, die aus Deutschland in ihre Herkunftsregion zurückkehren. Wie die Förderung von freiwilliger Rückkehr und Reintegration seitdem weiterentwickelt wurde und wie der Einzelfall darin Berücksichtigung findet, erfahren wir im Gespräch mit Corinna Wicher, Leiterin der Rückkehrabteilung im Bundesamt.

Frau Wicher, seit mehr als 40 Jahren fördern Bund und Länder mit dem REAG-Programm die freiwillige Rückkehr von Migrantinnen und Migranten. Wie würden Sie den Entwicklungsprozess beschreiben?

Corinna Wicher: Freiwillige Rückkehr aus Deutschland ist immer auch Abbild eines größeren, häufig weltweiten Migrationsgeschehens. Die zugrundeliegenden Prozesse sind komplex und dynamisch. Insofern ist die stete Veränderung seit jeher eine Grundkonstante, auf die sich Rückkehrunterstützung auszurichten hat. Wenn wir heute auf das Jahr 1979 blicken, als das REAG-Programm ins Leben gerufen wurde, sehen wir eine Welt mit ganz anderen migrationspolitischen Herausforderungen und Rahmenbedingungen. Seitdem ist viel passiert. Ein Meilenstein in der Programmentwicklung war sicherlich die Ergänzung von REAG durch die Reintegrationskomponente GARP (Government Assisted Repatriation Program) – und schließlich deren Fusion zum REAG/GARP-Programm im Jahr 2000. Heute ist es das größte Programm zur Rückkehrförderung in Europa. Mehr als 700.000 freiwillige Ausreisen wurden damit organisiert. Rückkehrförderung hat sich bewährt. Sie ist zum wesentlichen Bestandteil der deutschen und europäischen Migrationspolitik geworden. Aufgabe des Bundesamtes ist es, die Weiterentwicklung aktiv zu gestalten und die Programme zur Förderung der freiwilligen Rückkehr zu koordinieren.

Dynamisch war das Migrationsgeschehen auch in jüngerer Vergangenheit. Wie hat sich die Rückkehrunterstützung aktuell darauf ausgerichtet?

Corinna Wicher: In den vergangenen Jahren haben viele Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftsregionen und Gründen in Deutschland Asyl beantragt. Die Vielfalt der Herkunftsländer hat enorm zugenommen. Heute bieten wir Rückkehrunterstützung für mehr als 100 Länder an. Diejenigen, die hierzulande keine Bleibeperspektive haben oder Deutschland aus persönlichen Gründen verlassen wollen, aber das aus eigenen Mitteln nicht können, möchten wir flexibel und an ihre Lebenssituation angepasst unterstützen. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass wir unsere Angebote vor, während und nach Abschluss des Asylverfahrens verfügbar machen. Mit StarthilfePlus haben wir seit 2017 ein weiteres Programm entwickelt. Es baut auf der Basisförderung durch REAG/GARP auf und bietet zusätzliche finanzielle Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland. Auch unser europäisches Reintegrationsprojekt ERRIN entwickelt sich beständig weiter. Hinzu kommen unsere bilateralen Reintegrationsprojekte in Kosovo und Albanien. Auf dieser Grundlage können wir Rückkehrende passgenau unterstützen.

Aus Deutschland freiwillig auszureisen, setzt eine bewusste Entscheidung der Rückkehrenden voraus. Was brauchen Menschen, die über eine freiwillige Rückkehr nachdenken?

Corinna Wicher: Wer über eine freiwillige Rückkehr in sein Herkunftsland nachdenkt, braucht frühzeitig Zugang zu Information und Beratung. So kann Schritt für Schritt eine breite Informationsgrundlage für die Ausreiseentscheidung entstehen. Wir sprechen hier von einer "informierten Entscheidung". Das Bundesamt hat gemeinsam mit seinen Partnern große Anstrengungen unternommen, um den Informationszugang flächendeckend zu gewährleisten. Dabei spielt zum Beispiel die von Bundesamt und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betriebene Informationsplattform ReturningfromGermany.de eine wichtige Rolle. Sie ist in zehn Sprachen verfügbar und trägt dazu bei, das System aus bundesweiten Rückkehrberatungsstellen mit digitalen Anwendungen zu vernetzen. Das ist für alle am Rückkehrprozess Beteiligten wichtig. Rückkehrinteressierte, aber auch Behörden, Beratungsstellen und Ehrenamtliche können damit Auskunft über Handlungsoptionen und die verfügbaren Hilfsprogramme erhalten.

Was folgt dann? Wie können Rückkehr und Reintegration weiter vorbereitet werden?

Corinna Wicher: Im Zentrum steht die Rückkehrberatung. Sie dient dazu festzustellen, worin der individuelle Unterstützungsbedarf einer Person besteht, die sich mit einer Rückkehr beschäftigt, und welche Fördermöglichkeiten für sie verfügbar sind. Die Organisationsform variiert dabei. Das heißt, die Rückkehrberatung kann zivilgesellschaftlich wie auch staatlich getragen sein. Identisch ist das Ziel: Wir unterstützen Rückkehrende dabei, ihre eigenen Perspektiven im Herkunftsland zu entwickeln.

Wie zufrieden sind die Rückkehrenden mit der erhaltenen Unterstützung?

Corinna Wicher: Um diese Frage zu beantworten, wurde eine wissenschaftliche Begleitstudie zum StarthilfePlus-Programm durchgeführt. Das Forschungszentrum des Bundesamtes hat darin gemeinsam mit IOM untersucht, wie Rückkehrende das Programm wahrnehmen und welche Bedeutung die Förderleistungen für Rückkehrentscheidung und Reintegration haben. Mehr als 80 Prozent der Befragten sind mit StarthilfePlus zufrieden. Die Studie hat gezeigt, wie wichtig, die Kombination aus Beratungsangeboten, praktischer Hilfe bei der Ausreise und finanzieller Unterstützung ist. So können wir Rückkehrinteressierte dabei unterstützen, eine informierte Rückkehrentscheidung zu treffen und in ihrer Heimat wieder Fuß zu fassen.

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Inhalt

  1. Migration ganzheitlich gestalten: Freiwillige Rückkehr als Chance
  2. "Wir unterstützen Rückkehrende dabei, ihre eigene Perspektive zu entwickeln"
  3. "Als wir in Erbil landeten, hatte ich das Gefühl, wieder atmen zu können"
  4. Informiert entscheiden: Die ersten Schritte einer freiwilligen Rückkehr
  5. Wie Rückkehrberatung Orientierung gibt
  6. Vielfältige Programme bieten individuelle Unterstützung für Ausreise und Neustart