"Jedes zweite Projekt wird agil umgesetzt" ,
Agiles Projektmanagement und die öffentliche Verwaltung – dass dies zusammen passt, zeigt sich im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Verantwortlichen für die Projekte "besonderes elektronisches Behördenpostfach" und "Zentraler Posteingang" im BAMF erläutern, was diese Methodik in ihrer Behörde bewirkt hat.
Public Governance: Welchen Stellenwert hat agiles Projektmanagement im BAMF und für welche Art von Projekten bzw. in welchen Bereichen eignet sich die Methode aus Ihrer Sicht?
BAMF: Wir arbeiten im BAMF überwiegend mit hybriden Modellen und nutzen als agile Methodik in unseren Projekten vor allem Scrum, insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung. Der Anteil agiler Projekte an den Gesamtprojekten im BAMF liegt bei circa 50 Prozent. Für kleine bzw. weniger komplexe Projekte ist die agile Methodik eher weniger geeignet, da der Mehrwert den Aufwand, der sich aus der Einführung und dem operativen Betrieb ergibt, nicht rechtfertigt. Für komplexe Projekte hingegen, in denen Anforderungen stetig eingeholt und angepasst werden müssen und damit Flexibilität und eine schnelle Reaktionsfähigkeit erforderlich sind, hat sich dieses Vorgehen beim BAMF bewährt.
Public Governance: Inwiefern konnten Arbeitsprozesse innerhalb des BAMF im Rahmen der Digitalisierungsprojekte ZPE (Zentraler Posteingang) und beBPo (besonderes elektronisches Behördenpostfach) verbessert werden?
BAMF: Durch ZPE werden Poststücke zentral und rechtssicher digitalisiert und im Fachverfahren zur weiteren Bearbeitung bereitgestellt. Hierdurch entfällt das dezentrale manuelle Scannen in den Außenstellen und es wird über die gesamte Organisation ein einheitlicher Prozess gewährleistet. Das beBPo des Bundesamts hat die Aufgabe, die rechtssichere elektronische Kommunikation zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Anwaltschaft mit dem BAMF zu ermöglichen. Durch den Wegfall von Postwegen und den automatischen Dokumentenimport kommt es zu einer Beschleunigung des Verfahrens. Hierbei reduzieren sich, ähnlich wie bei ZPE, manuelle Tätigkeiten (beispielsweise durch automatisierte Dokumentenindizierung). Damit können die Nutzenden ihren Fokus auf die Kernaufgaben legen und müssen deutlich weniger Zeit in aufwendige manuelle Verwaltungstätigkeiten investieren. Zudem erhöhen diese Projekte nicht nur das Tempo, sondern garantieren auch Rechtssicherheit, da alles protokolliert wird. Somit werden Integrität und Vertraulichkeit gewährleistet. Dies ist vor allem im Rechtsverkehr essenziell.
Public Governance: Führte die bei diesen beiden Projekten angewendete agile Methodik der Softwareentwicklung aus Ihrer Sicht zu einer schnelleren und effizienteren Projektumsetzung, als dies bei konventionellen Entwicklungsprozessen möglich gewesen wäre? Und wenn ja, welche Faktoren waren hierfür maßgeblich?
BAMF: Durch das agile Vorgehen wird bei komplexen Projekten, vor allem im Bereich der Softwareentwicklung, eine schnellere und effizientere Projektumsetzung gefördert. Dies wird durch eine höhere Zahl von Feedbackschleifen, eine enge Einbindung der Endnutzenden und eine schnellere Reaktionsfähigkeit gewährleistet. Hierdurch wird letztendlich auch die Nutzerzufriedenheit erhöht. Außerdem unterstützen agile Projekte eine effizientere Dokumentation
und Kommunikation. Im Kontext der Projekte beBPo und ZPE werden beispielsweise durch die Rolle des Scrum Master Termine effizienter gestaltet („Timeboxing“, Moderation, Nachhaltung von Herausforderungen). Ausufernde Diskussionen und lange E-Mail-Kommunikation werden weitestgehend vermieden. Neben den positiven Punkten und Vorteilen ist allerdings zu beachten, dass es durchaus auch Einschränkungen gibt, etwa durch gesetzliche Erfordernisse (zum Beispiel Personalvertretungsgesetz) oder strukturelle Besonderheiten (zum Beispiel Beteiligung von Gremien). Diese können beispielsweise ein besonderes Schriftbedürfnis voraussetzen. Hier reicht die einfache Form der Dokumentation nicht aus und der Einsatz agiler Tools stößt an seine Grenzen.
Public Governance: Wie offen waren die Mitarbeitenden für die Projektumsetzung mithilfe agiler Methoden und was ist zu tun, damit die Mitarbeitenden vor Projektbeginn ein ähnliches Grundverständnis und ähnliche Kompetenzen für die Arbeit in einem agilen Projektrahmen mitbringen?
BAMF: Sehr wichtig für die erfolgreiche Einführung und Verwendung agiler Methoden ist die Unterstützung durch die Leitungsebene. Einen wichtigen Grundstein, um agile ProjektmanagementMethoden im BAMF zu verankern,
hatte bereits der ehemalige BAMF-Vizepräsident und aktuelle Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik, Dr. Markus Richter, gelegt. Herr Dr. Richter hat als zertifizierter Scrum Master die Nutzung von Frameworks wie Scrum stark befürwortet und den Grundstein für deren weitere Nutzung in der Organisation gelegt. Die Mitarbeitenden im BAMF konnten ebenfalls schnell hierfür gewonnen werden. Dies lag insbesondere daran, da sich im Zuge des hohen Flüchtlingsaufkommens 2015/16 herauskristallisierte, dass mit den bisher verwendeten konventionellen Prozessen die effiziente Bearbeitung der aufkommenden Arbeitslast nur schwer zu bewältigen war. Wichtig ist es, vor Projektbeginn festzustellen, welchen Kenntnisstand die Projektmitarbeitenden in Bezug auf agile Methodik mitbringen. Hierfür sollten idealerweise ein ProjektKickoff oder Workshops und Schulungen verwendet werden, um sicherzustellen, dass die benötigten Rollen und Kompetenzen im Projekt vorhanden sind. Dass diese dann auch im Projekt umgesetzt und gelebt werden, erfordert das konsequente Aufzeigen der agilen Werte und Prinzipien durch den Scrum Master.
Das Interview erschien in Public Governance in der Ausgabe Winter 2022/2023.
Die Fragen beantworteten Robert Keil, Referatsleiter, und Ann-Kathrin Grimm, Referentin, Referat Produktmanagement Sichere Kommunikation und Digitale Gateways, sowie Christian Lenhardt, Leitung Projekt beBPo (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
Kontaktierbar unter: Ref21FPosteingang@bamf.bund.de