Studie zur Fluchtmigration 2014-2016 , Datum: 08.02.2018, Format: Meldung, Bereich: Behörde , Interview mit Janne Grote, Hauptautor der EMN-Studie "Fluchtmigration 2014 bis 2016. Reaktionen und Maßnahmen in Deutschland"

Die EMN-Studie gibt einen Überblick, mit welchen Maßnahmen Deutschland auf die Fluchtmigration 2014 bis 2016 reagiert hat. Warum dieser Zeitraum?

Wir hatten uns innerhalb des Europäischen Migrationsnetzwerks auf diesen Zeitraum verständigt, da die Jahre den Kern des starken Anstiegs und des relativen Abklingens der Fluchtmigration nach Europa und Deutschland umfassen. Seit Frühjahr 2016 sind die monatlichen Neueinreisen von Schutzsuchenden ziemlich konstant geblieben und gerade in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten hat sich die Lage noch im Jahr 2016 deutlich entspannt. Deutschland nimmt mit einigen wenigen anderen Mitgliedstaaten hier eine gewisse Sonderrolle ein, da die anfängliche Überlastung von Verwaltungsstrukturen zu einem erheblichen Rückstau bei der Antragsannahme und -bearbeitung beim BAMF geführt haben. Die Auswirkungen zeigten sich in manchen Bereichen verzögert bis ins Jahr 2017. So benennt die deutsche Studie auch Maßnahmen aus 2017. Zwei Kapitel behandeln explizit auch Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem relativen Abklingen und mit Blick auf mögliche zukünftige Fluktuationen bei der Fluchtmigration ergriffen wurden oder geplant sind.

Sie nennen 50 Herausforderungen und zählen 100 Maßnahmen auf, diese zu bewältigen. Nach welchen Kriterien haben sie diese ausgewählt?

Zunächst ist zu sagen, dass neben den genannten Punkten auch die zahlenmäßige Entwicklung der Fluchtmigration sowie der Asylantragstellung und -bearbeitung nachgezeichnet werden. Auch wichtige europäische und internationale Maßnahmen, an denen Deutschland beteiligt war, werden zu Beginn beschrieben, ebenso wie eine Auswahl neuer Kooperationen verschiedener Akteure auf nationaler Ebene. Daran schließen dann die Herausforderungen und Einzelmaßnahmen an. Dabei werden acht Themenfelder betrachtet:

Grenzkontrollen, Notunterkünfte, Aufnahmeeinrichtungen, Unterstützungsleistungen wie beispielsweise Grund- und Gesundheitsversorgung, der Registrierungsprozess, das Asylverfahren, Infrastruktur, Personal und Zuständigkeiten, Sicherheit und Strafverfolgung unter andrem durch Polizei, Sicherheitsbehörden und private Sicherheitsdienste sowie Integrationsmaßnahmen vor Beendigung der Asylverfahrens.

Maßnahmen, die sich auf die Phase nach Beendigung des Asylverfahrens beziehen, konnten nicht berücksichtigt werden. Die Studie beschreibt also keine Maßnahmen, die beispielsweise für Schutzberechtigte oder abgelehnte Asylantragstellende ergriffen wurden. Trotz dieser Einschränkung war es eine echte Herausforderung die Auswahl zu treffen, weil ich neben dem Schwerpunkt auf staatliche Maßnahmen auch wichtige Maßnahmen nicht-staatlicher Akteuren dokumentieren wollte, da die ehrenamtlich geleistete Unterstützung sowie die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Gemeinden verschiedener Konfessionen zentral dafür war, die Herausforderungen zu meistern. Hier stand ich zum Beispiel im Austausch mit einigen Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege.

Ein weiteres Kriterium zur Auswahl waren die zeitlichen Rahmenbedingungen von wenigen Monaten Bearbeitungszeit, was die Regel bei den EMN-Studien ist. Die Informationen sollen möglichst aktuell und vergleichbar sein, da die Ergebnisse der nationalen Studien anschließend in einen vergleichenden Synthesebericht gebündelt werden. Hierfür muss ein strikter Zeitplan eingehalten werden. Da liegt es in der Natur der Sache, dass die Studie nicht alle Maßnahmen darstellen kann. Trotz der Leerstellen gibt die Studie einen hoffentlich hilfreichen Überblick über die gesamte Breite der Maßnahmen, an dem weitere wissenschaftliche Analysen und die öffentliche Diskussion ansetzen können.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Studie mit?

Obwohl ich die Jahre aus Behördenperspektive verfolgen konnte, hat mich bei der Arbeit an der Studie dann doch wiederholt beeindruckt, wie viele Akteure der Gesellschaft sich mit welchen Maßnahmen darum bemüht haben, die vielen Herausforderungen zu bewältigen. Auch noch einmal nachzuvollziehen, welche Maßnahmen eigentlich welche Zielsetzung hatten, wie sie ineinander gegriffen haben und dann teilweise verstetigt oder ersetzt wurden, war aufschlussreich. Nehmen wir zum Beispiel die Öffnung des Zugangs zum Arbeitsmarkt noch vor Abschluss des Asylverfahrens für Schutzsuchende aus Ländern mit guter Bleibeperspektive. Diese Unterstützungsmaßnahme hat sich aufgrund des großen Rückstaus und den langen Wartezeiten bei der Antragsbearbeitung durchgesetzt. Gleichzeitig ging die Liberalisierung wiederum mit restriktiven Maßnahmen gegenüber Asylsuchenden aus den Westbalkanstaaten einher, die zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden, für die dann aber wieder eine Alternative zum Asylkanal geschaffen und die Arbeitsmarktmigration erleichtert wurde, die mittlerweile ja auch vielfach genutzt wird.

Dann ist unbedingt der immense Kraftakt der lokalen Verwaltungen, der zentralen Wohlfahrtsverbände, der Hunderttausendfachen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, der Vereine, Schulen, Kitas und der vielen Gemeinden aller Konfessionen zu nennen, deren aktive Unterstützung von Geflüchteten an vielen Stellen die Überlastung der Regelstrukturen aufgefangen und/oder ergänzt hat. Sie haben damit maßgeblich dazu beigetragen, dass die Herausforderungen besser gemeistert werden konnten. Von staatlicher Seite sind Teile dieser neu etablierten Strukturen anschließend wiederum durch Fördermittel oder beispielsweise die Finanzierung von Ehrenamtskoordinationsstellen unterstützt worden.

Letztlich hat die Phase der Überlastung auch Innovation und solche Maßnahmen hervorgebracht, die sonst unter Umständen nicht oder nicht in der Geschwindigkeit beziehungsweise nicht in dem Umfang ergriffen worden wären, die aber mittel- bis langfristige Effekte haben werden. Hier ist beispielsweise die Digitalisierung des Asylverfahrens zu nennen. Die schon umgesetzten Projekte haben bereits zur Verkürzung von Verwaltungsschritten rund um den eigentlichen Kern des Asylverfahrens, also die Anhörung, geführt und werden künftig wohl noch deutlich weiter zu diesem Prozess beitragen. Ein zweites Beispiel ist das weiterentwickelte Kerndatensystem auf Grundlage des Ausländerzentralregisters, das mit einem ebenen- und behördenübergreifenden personenbezogenen Datenaustausch einhergeht, der in diesem Umfang in der Geschichte der Bundesrepublik ein Novum darstellt.

Wie sich die genannten und die vielen weiteren in der Studie beschriebenen Maßnahmen mittel- und langfristig auswirken werden, wird Gegenstand weiterer Analysen und Evaluationen sein. Die Studie kann hier hoffentlich ihren Beitrag leisten, indem sie in der Breite der beschriebenen Maßnahmen Orientierung über die Fülle an Herausforderungen und Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen bietet.

Die ganze Studie steht in der rechten Spalte zur Verfügung.