Studie: Unbegleitete Minderjährige in Deutschland , Datum: 23.05.2018, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Die neue EMN-Studie gibt einen sachlichen Überblick über die verschiedenen Regelungen, die für unbegleitete Minderjährige in Deutschland gelten. Julian Tangermann und Paula Hoffmeyer-Zlotnik, erläutern, worum es genau geht.

Was thematisiert die Studie?

Die neue Studie zu unbegleiteten Minderjährigen ist als Überblickswerk konzipiert und bietet sowohl einen guten Einstieg für diejenigen, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben, als auch vertiefende Hintergrundinformationen für Fachkräfte. Die Studie konzentriert sich auf all das, was neben beziehungsweise nach der Klärung des Aufenthaltsstatus von unbegleiteten Minderjährigen passiert. Damit ergänzt sie die Studie von 2014, bei der der Ablauf des Asylverfahrens im Vordergrund stand. Die aktuelle Studie behandelt in einem Überblickskapitel Definitionen, Statistiken und Rechtsgrundlagen und zeichnet die öffentliche Diskussion nach. In den weiteren Kapiteln werden dann die Themen Unterbringung, Versorgung und Betreuung, Integration ins Schulsystem und in den Arbeitsmarkt, sowie Möglichkeiten der Rückkehr beziehungsweise Bleiberechtsregelungen beschrieben. Ebenfalls werden die Themenkomplexe Verschwinden und Familienzusammenführung beleuchtet.

Wie ist die Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland geregelt?

Unbegleitete Minderjährige werden in erster Linie behandelt wie andere gefährdete Kinder und Jugendliche auch. Für sie gilt das sogenannte Primat der Kinder- und Jugendhilfe und sie werden nach den Regelungen des Kinder- und Jugendhilferechtes im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) untergebracht, versorgt und betreut. Hier besteht der größte Unterschied zu volljährigen Geflüchteten in Deutschland, die primär dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen. Der besondere Schutz, der unbegleiteten Minderjährigen nach internationalen Übereinkommen und nach deutschem Recht aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit zusteht, wird zum Beispiel dadurch gewährleistet, dass das Jugendamt unbegleitete Minderjährige in Obhut nimmt. Das passiert in der Regel direkt nach der Ankunft in Deutschland.

Bis sie wieder mit ihren Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zusammen sind oder volljährig werden, werden unbegleitete Minderjährige vom Jugendamt untergebracht, beispielsweise in Wohnheimen, Wohngruppen oder in Pflegefamilien. Wenn es fachlich notwendig ist, kann eine jugendhilferechtliche Zuständigkeit auch über den 18. Geburtstag hinaus bestehen – das entscheidet das zuständige Jugendamt im Einzelfall. Die rechtliche Vertretung übernimmt in dieser Zeit ein Vormund – allerdings sind die Kinder beziehungsweise Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen.

Was wird für die Integration von unbegleiteten Minderjährigen getan?

Parallel zur Unterbringung durch die Jugendhilfe beginnt meistens auch die Integration in Schule und Ausbildung. Hier zeigt sich deutschlandweit ein sehr diverses Bild, da die Bundesländer unterschiedliche Regelungen zu Schulpflicht und -zugang haben und teilweise unterschiedliche, innovative Ansätze der Förderung von jungen Geflüchteten verfolgen. Zentrales Element bei den meisten schulischen Angeboten ist dabei der Spracherwerb. Im Bereich der Ausbildung hat sich die Rechtslage in den letzten Jahren verändert, nicht zuletzt durch die Einführung der sogenannte Ausbildungsduldung (auch "3+2 Regelung" genannt), die es auch unbegleiteten Minderjährigen ermöglicht, eine Ausbildung anzufangen und so ihr Bleiberecht in Deutschland zu erhalten. Auch sind besonders in den letzten Jahren eine Vielzahl an Initiativen und Programmen entstanden, die jugendliche Geflüchtete bei der Vorbereitung auf eine Ausbildung und bei der Berufswahl unterstützen.

Was passiert, wenn unbegleitete Minderjährige volljährig werden?

Der 18. Geburtstag ist für unbegleitete Minderjährige besonders bedeutsam: in der Regel endet die Jugendhilfe und somit auch die Unterbringung und Betreuung. Aufenthaltsrechtliche Regelungen greifen jetzt voll und können einschneidende Veränderungen mit sich bringen. Unter Umständen kann im Rahmen des Asylverfahrens eine örtliche Umverteilung oder- falls ein Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde – auch eine Rückführung anstehen. Oft sehen sich ehemalige unbegleitete Minderjährige mit der Situation konfrontiert, nach einer Phase der intensiven Betreuung und Hilfestellung durch die Jugendhilfe nun alle Angelegenheiten selbst regeln zu müssen. Es gibt in der Jugendhilfe allerdings etliche gute Ansätze der Übergangsberatung, die einer solchen Situation vorbeugen sollen. Einige dieser Konzepte führen wir in der Studie auf.

Was hat sich in den letzten Jahren getan?

Die hohe Zuwanderung von unbegleiteten Minderjährigen vor allem im Zeitraum von 2014 bis 2016 hat zu einigen Veränderungen geführt. So hat beispielsweise der Gesetzgeber auf die unterschiedliche Belastung von Kommunen reagiert. Seit 2015 werden unbegleitete Minderjährige bundesweit verteilt. Ebenso wurden Kapazitäten, etwa in der Unterbringung und im Bereich der schulischen Integration, erhöht.

Auch an den deutlich geringeren Asylantragszahlen wird deutlich, dass Deutschland sich in Bezug auf unbegleitete Minderjährige jetzt in einer Phase der Stabilisierung befindet, in der weniger die Aufnahme im Vordergrund steht, sondern vielmehr die Sicherung der Qualität in der Betreuung. So wird beispielsweise immer wieder betont, dass Qualifizierungsangebote für Fachkräfte, die mit unbegleiteten Minderjährigen arbeiten, ausgebaut werden müssten und dass verstärkt Angebote für von Krieg und Flucht traumatisierte Minderjährige geschaffen werden müssten.

Wie ist die Situation in anderen europäischen Staaten?

Wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, hat Deutschland in den vergangenen Jahren besonders viele unbegleitete Minderjährige aufgenommen. Allerdings haben - verglichen mit ihrer Bevölkerungszahl - auch andere Staaten sehr viele unbegleitete Minderjährige aufgenommen. In Italien beispielsweise ist die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen, die einen Asylantrag gestellt haben, von insgesamt 6.020 im Jahr 2016 auf 9.945 im Jahr 2017 gestiegen, sodass die Frage der Unterbringung und Versorgung hier nach wie vor aktuell ist. In Schweden wiederum ist die Zahl der asylantragstellenden unbegleiteten Minderjährigen zunächst erheblich gestiegen und dann deutlich gesunken (von 34.295 im Jahr 2015 auf 2.160 im Jahr 2016). Dort steht nun die Integration dieser Gruppe im Vordergrund.

Einen Überblick über die Situation in anderen EU-Mitgliedstaaten wird der in Kürze erscheinende EMN-Synthesebericht bieten, der die Situation in allen Mitgliedsstaaten vergleicht. Details zur nationalen Praxis finden sich auch in den jeweiligen nationalen Studien, die auf den Seiten der Europäischen Kommission publiziert sind.

Die ganze Studie steht unter "Downloads" zur Verfügung.