Wir müssen Schutzsuchenden ein Gesicht geben , , Interview mit Chris Melzer, Pressesprecher des UNHCR Deutschland
Weltweit sind mehr als 70 Millionen Menschen auf der Flucht – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Sie fliehen vor Unterdrückung und Verfolgung, vor Krieg und Menschenrechtsverletzungen. Hinzu kommen viele Tausend, die nach Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Ein Ende dieser dramatischen Lage ist nicht absehbar.
Die meisten Flüchtlinge kommen zurzeit aus Syrien – etwa 6 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens und mehr als 5,6 Millionen außerhalb Syriens auf der Flucht. Die meisten der aus Syrien geflohenen Menschen haben in den Nachbarländern Schutz gesucht. Nur knapp acht Prozent von ihnen leben in Flüchtlingslagern, die anderen sind in Städten und Gemeinden untergebracht.
Am 4. Dezember 2000 erklärten die Vereinten Nationen den 20. Juni zum internationalen Weltflüchtlingstag. Zu seiner Bedeutung und der aktuellen Situation sprachen wir mit Chris Melzer, Pressesprecher des UNHCR.
Chris Melzer, Pressesprecher des UNHCR in Deutschland
Quelle: © Martin Rentsch
Herr Melzer, in den Jahren vor 2015 war der Weltflüchtlingstag immer Anlass, auf das Thema aufmerksam zu machen. Ab 2015 war der Weltflüchtlingstag in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr so sichtbar, denn es wurde viel über geflüchtete Menschen berichtet, fast jeden Tag. Warum ist es immer noch wichtig, schutzsuchenden Menschen ein Gesicht zu geben und das Thema in den Fokus zu nehmen?
Melzer: Das ist ein völkerrechtliches und auch ein moralisches Gebot. Völkerrechtlich, weil Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet hat – die es ohne die deutschen Verbrechen gar nicht geben würde. Aber natürlich gibt es auch eine moralische Pflicht. Menschen helfen Menschen in Not. Und bei Flüchtlingen geht es ja nicht nur um Menschen, die in einer wirtschaftlichen Notlage sind. Sie sind auch noch verfolgt von einem Regime oder fliehen vor Krieg. Im kollektiven Bewusstsein der Deutschen ist noch drin, was es heißt, Opfer von Krieg und Vertreibung zu sein. Und im Osten Deutschlands weiß man auch noch ganz genau, wie es war, als der Polizist nicht der Freund und Helfer, sondern eine potentielle Bedrohung der Freiheit und der Menschenwürde war.
In den Jahren 2015 und 2016 kamen circa 1,1 Millionen Schutzsuchende nach Deutschland, ein Großteil davon im Zeitraum Juli 2015 bis Februar 2016. Die hohe Anzahl der Asylanträge in verhältnismäßig kurzer Zeit führte zu einer Überlastung auf vielen Ebenen. Inzwischen haben sich die Zahlen deutlich reduzieren lassen. Ist das jetzt ein Grund die Hände in den Schoß zu legen, oder stehen wir angesichts global weiter steigender Flüchtlingszahlen noch immer vor großen Problemen?
Melzer: Weltweit steigen die Flüchtlingszahlen in der Tat. Wir mussten jetzt zum ersten Mal in unserer Geschichte mehr als 70 Millionen Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Asylsuchende zählen. Diese Zahl hat sich innerhalb von 20 Jahren verdoppelt. Es ist eines der großen humanitären Probleme unserer Generation. Aber in Deutschland beobachten wir die genau gegenteilige Entwicklung. Hier gehen die Ankunftszahlen seit Jahren drastisch zurück. Jetzt muss es natürlich darum gehen, diese Menschen zu integrieren. 300 000 von denen, die 2015, 2016 kamen, haben schon einen Job gefunden. Damit sind sie zukünftige Steuerzahler und nicht Leistungsempfänger. Das ist eine gute Nachricht für alle Seiten.
Bürgerschaftliches bzw. ehrenamtliches Engagement nimmt eine Schlüsselrolle in der Arbeit mit geflüchteten Menschen ein. Durch das gemeinsame ehrenamtliche Engagement von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund werden Vorurteile abgebaut, und das Verständnis füreinander wächst. Was können das Bundesamt und der UNHCR gemeinsam dafür tun, um Fluchtursachen zu mindern, geflüchtete Menschen zu unterstützen und die Aufnahmegesellschaft zu stärken?
Melzer: Die Fluchtursachen sind Krieg und Verfolgung und zu sagen, dass unsere Möglichkeiten da begrenzt sind, wäre wohl immer noch übertrieben. Aber hier in Deutschland können alle Partner zusammenarbeiten, um den Flüchtlingen den Start zu erleichtern. Wissen Sie was: Wir bei UNHCR mögen keine Flüchtlinge! Deshalb versuchen wir auch, so schnell wie möglich dafür zu sorgen, dass sie nach Hause zurückkehren können, was bei der überwältigenden Mehrheit der größte Wunsch ist. Und wenn das nicht geht, dann sollen sie auch keine Flüchtlinge mehr sein, sondern normale Bürger, die Teil der Gesellschaft sind und sie bereichern – nur eben zufällig "mit einem Flüchtlingshintergrund". Jeder Mensch will für sich und seine Familie selbst sorgen. Diese Einstellung ändert sich nicht, wenn man Flüchtling ist, vielleicht sogar im Gegenteil. Wenn wir also die Integration erleichtern, nützt das allen – den Flüchtlingen wie den Deutschen.
Die BAMF-Internetredaktion