30. Juli: Welttag gegen Menschenhandel , Datum: 30.07.2019, Format: Meldung, Bereich: Behörde , Interview mit Marcus Federbusch, BAMF-Sonderbeauftragter für Opfer von Menschenhandel

Vor fünf Jahren bestimmten die Vereinten Nationen den 30. Juli als "Welttag gegen Menschenhandel". Deutschland ist sowohl ein Herkunftsland, Transitland als auch Zielland des Menschenhandels, der in kriminellen Netzwerken auf europäischer und internationaler Ebene organisiert ist. Auch im 21. Jahrhundert sind Abermillionen Menschen von traditionellen wie „modernen“ Formen der Sklaverei und Zwangsarbeit betroffen. Darunter fallen gerade auch die erzwungene Arbeit und die wirtschaftliche oder sexuelle Ausbeutung verkaufter, verschleppter, getäuschter oder illegal angeworbener Kinder und Erwachsener im Zuge des Menschenhandels.

Opfer von Menschenhandel gelten im Asylverfahren als besonders schutzbedürftige Personengruppen, für die das Bundesamt speziell geschulte Entscheiderinnen und Entscheider als Sonderbeauftragte einsetzt. Aktuell sind ca. 210 solcher Sonderbeauftragten bei Anhörungen im Einsatz. Einer von Ihnen ist Marcus Federbusch.

Herr Federbusch, warum setzt das Bundesamt überhaupt Sonderbeauftragte im Asylverfahren ein?

Federbusch: Die einschlägigen europäischen Richtlinien verpflichten die EU-Mitgliedsstaaten dazu, der speziellen Situation besonders schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen und daraus folgend besondere Verfahrensgarantien zu gewährleisten. Zu solchen Personen zählen u.a. Unbegleitete Minderjährige und die Opfer von Menschenhandel. Die Mitgliedsstaaten beurteilen dabei selbst, ob Antragstellende besonders schutzwürdig sind und welcher Art die zu berücksichtigenden Bedürfnisse sind. Das Bundesamt setzt zur Umsetzung dieser Vorgaben die Sonderbeauftragten für bestimmte Gruppen schutzbedürftiger Personen ein, für Unbegleitete Minderjährige bereits seit dem Jahr 1996.

Wie sehen die Aufgaben eines Sonderbeauftragten für die Opfer von Menschenhandel konkret aus?

Federbusch: Sonderbeauftragte sind Anhörende und/oder Entscheidende mit besonderer Eignung, die spezielle Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen, bevor sie - förmlich bestellt - zum Einsatz kommen. Diese Schulungen sind für alle Sonderbeauftragten im allgemeinen Teil vergleichbar, im speziellen Teil von der jeweiligen Gruppe der schutzbedürftigen Personen abhängig.

Als Sonderbeauftragter ist man dann, sofern man die entsprechenden Verfahren nicht ohnehin selbst bearbeitet, für die Kolleginnen und Kollegen in der eigenen Außenstelle beratend tätig und gibt das in den Schulungen erworbene Wissen weiter. Außerdem ist man auch für Externe ansprechbar, etwa für die spezialisierten Fachberatungsstellen für Menschenhandelsbetroffene. Falls notwendig, wird auch eine Zusammenarbeit mit anderen Stellen, etwa im Sicherheitsbereich, koordiniert.

Wie wird die Theorie in der Praxis umgesetzt?

Federbusch: Die Multiplikatorenfunktion ist sehr wichtig. Wir versuchen, vor Ort ein Problembewusstsein zu erzeugen, möglichst innerhalb der gesamten Kette der Verfahrensbearbeitung. Wenn Verdachtsmomente schon frühzeitig im Verfahren, z.B. bei der Aktenanlage, auffallen, dann kann man schon von Anfang an für eine sachgerechte Bearbeitung sorgen. Ansonsten stehen wir den Kolleginnen und Kollegen, die nicht selten überraschend mit Menschenhandelsvorträgen konfrontiert werden, beratend für die Anhörung oder die Bescheiderstellung zur Seite oder übernehmen selbst diese Fälle. Auch die Opfer von Menschenhandel sind sich ihres besonderen Status und ihrer Rechte oft nicht bewusst, wir vermitteln dann z.B. Kontakte zu speziellen Beratungsstellen. Antragstellende können aber durchaus auch selbst Taten im Zusammenhang mit Menschenhandel verüben. Wir stimmen die individuelle Fallbearbeitung jeweils mit dem Sicherheitsreferat ab.

Mit wem arbeitet das BAMF in diesem Tätigkeitsfeld zusammen bzw. mit welchen anderen Akteuren ist das BAMF vernetzt?

Federbusch: Da muss man zwischen der großen weiten Welt und der „kleinen Welt“ einer Außenstelle unterscheiden. Die Vernetzung mit bundesweit und international tätigen Akteuren bzw. Organisationen ist eher eine Sache der Zentrale und des BMI. Wir vor Ort versuchen, den Kontakt zu den spezialisierten regional tätigen Beratungsstellen zu halten, indem wir z.B. gemeinsame Besprechungen durchführen oder spezielle Netzwerkveranstaltungen mit Bezug zum Thema Menschenhandel besuchen. Dies betrifft z.B. Veranstaltungen, die sich mit dem Schutz von Frauen und Kindern vor sexueller Ausbeutung befassen, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei solchen Veranstaltungen trifft man auf viele Teilnehmende aus den unterschiedlichsten Bereichen, z.B. auch aus den Sicherheitsbehörden. Wenn man schon einmal miteinander gesprochen hat, dann ist der Griff zum Telefon auch um einiges leichter.

Ist Ihnen in Ihrem bisherigen Einsatz als Sonderbeauftragter ein Fall besonders in Erinnerung geblieben?

Federbusch: Als besonders – leider im negativen Sinne – sind mir Fälle unbegleiteter noch sehr junger minderjähriger Mädchen aus einem asiatischen Staat in Erinnerung geblieben. Sie wurden aus Schleuser-Situationen herausgeholt. Es gab einige deutliche Indizien dafür, dass sie mutmaßlich der Minderjährigen-Prostitution in Westeuropa zugeführt werden sollten. Noch vor der Aktenanlage im Bundesamt verschwanden sie jedoch spurlos aus ihren Unterkünften. Schon angesichts des jungen Alters dieser Mädchen war ich sehr betroffen. Gleichwohl werden solche Erfahrungen kaum ausbleiben, da auf der Menschenhändlerseite in vielen Fällen hoch organisierte kriminelle Strukturen agieren.

Hintergrund

Unter den Schutzsuchenden, denen das Bundesamt zeitnah Gewissheit über ihre Bleibeperspektive geben möchte, befinden sich oft auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen - sogenannte vulnerable Personengruppen. Zu diesen gehören Folteropfer, Unbegleitete Minderjährige, traumatisierte Personen und geschlechtsspezifisch Verfolgte sowie Opfer von Menschenhandel. Asylverfahren vulnerabler Personen bedürfen insbesondere im Hinblick auf die Sachvorträge zum jeweiligen Verfolgungsschicksal einer besonders sensiblen und einfühlsamen Vorgehensweise.

Bei Anhörungsverfahren dieser Personengruppen werden vom Bundesamt daher eigens geschulte Entscheiderinnen und Entscheider, sogenannte Sonderbeauftragte, eingesetzt. Diese Sonderbeauftragten durchlaufen spezielle Schulungsmaßnahmen und werden mit den Bedürfnissen der besonders schutzbedürftigen Personengruppen vertraut gemacht.

Das BAMF-Referat "Grundlagen des Asylverfahrens, Umsetzung europäischen Rechts" führt für die Qualifikation der Sonderbeauftragten regelmäßig Schulungen und Fachveranstaltungen durch und tauscht sich mit Fachberatungsstellen und Wohlfahrtsverbänden aus. Die BAMF-Referate "Grundsatz Sicherheit im Asylverfahren" und "Operative Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder" arbeiten in dem Themenumfeld mit Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wie dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern zusammen.

Die BAMF-Internetredaktion