Forschungsprojekt "Evaluation der Integrationskurse" , Datum: 17.09.2019, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Heute hat das BAMF-Forschungszentrum erste Analysen und Erkenntnisse des Forschungsprojekts "Evaluation der Integrationskurse (EvIk)" der Öffentlichkeit vorgestellt. Der vorliegende Zwischenbericht I (Forschungsbericht 33) fokussiert dabei auf den Zugang zum Integrationskurs, die Effekte einer Kursteilnahme und fluchtspezifischer Faktoren auf den Deutscherwerb, die Herausforderungen für Lehrkräfte und die Verzahnung des Kurssystems mit anderen Integrationsmaßnahmen des Bundes. Das Gesamt-Forschungsprojekt EvIk hat zum Ziel, die Wirkung der Integrationskurse mit besonderem Augenmerk auf die Änderung der Zusammensetzung der Teilnehmenden hin zu mehr Geflüchteten in den letzten Jahren zu untersuchen.

Dr. Nina Rother, Leiterin des Forschungsbereichs "Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt", und die wissenschaftlichen Mitarbeitenden Dr. Anna Tissot und Dr. Giuseppe Pietrantuono erläutern die wichtigsten Erkenntnisse des Zwischenberichts im Interview.


In Ihrem Forschungsbericht zum Forschungsprojekt "Evaluation der Integrationskurse (EvIk)" zeigen Sie erste Analysen und Ergebnisse zur Wirkung von Integrationskursen mit einem besonderen Augenmerk auf die Teilnehmendengruppe der Geflüchteten. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse und was hat Sie davon am meisten überrascht?

ROTHER: Was den Spracherwerb angeht, wissen wir schon gut, wie dieser funktioniert und wovon er abhängt. Geflüchtete unterscheiden sich hier nicht von anderen Zuwanderungsgruppen: Man lernt Sprachen immer dann leichter, wenn man dazu motiviert ist (z.B. aufgrund einer langen Bleibeperspektive), wenn man viel Gelegenheit dazu hat (z.B. durch häufige Kontakte zu Deutschen) und wenn einem der Erwerb leichter fällt (z.B. aufgrund eines höheren Bildungsniveaus oder einem jüngeren Alter). Geflüchtete bringen aufgrund der Situation in ihren Herkunftsländern aber häufig nachteiligere Voraussetzungen mit, z.B. ein niedrigeres Bildungsniveau, und sie müssen zusätzlich fluchtspezifische Problemlagen bewältigen. So können ein höheres Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen, beengte Wohnverhältnisse oder eine Trennung von Familienangehörigen den Spracherwerb erschweren. Geflüchteten fällt der Deutscherwerb somit nicht so einfach wie anderen Gruppen. Im Alphabetisierungskurs kommen häufig mehrere solcher ungünstigen Faktoren zusammen. Hier ist das Erreichen von A2-Sprachniveau daher als Erfolg zu werten.

Verschiedene Sprachniveaus

Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GER)

Der GER ist ein System, das (fremd-) sprachlich-kommunikative Kompetenzen beschreib- und messbar macht. So werden sprachliche Fähigkeiten transparent und vergleichbar - unabhängig vom Notensystem des einzelnen europäischen Landes. Grundlage des GER ist eine sechsstufige Skala. Jede Stufe ist mit genauen Angaben zu den jeweiligen Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen) verbunden. Die Skala des GER reicht von A1 (erste Sprachversuche) bis C2 (beinahe muttersprachliches Niveau).

TISSOT: Obwohl wir schon wussten, dass geflüchtete Frauen über nachteilige Voraussetzungen verfügen, hat uns das Ausmaß der Geschlechterunterschiede besonders überrascht. Frauen bringen im Durchschnitt ein niedrigeres schulisches und berufliches Bildungsniveau mit und weisen eine stärkere Vulnerabilität auf als Männer. Beispielsweise weisen 51 Prozent aller befragten Frauen ein erhöhtes Risiko einer posttraumatischen Belastung auf, während es bei Männern im Vergleich "nur" 36 Prozent sind. Darüber hinaus bekommen Frauen aufgrund der Wahrnehmung von Kinderbetreuungsaufgaben seltener Zugang zum Kurs und lernen dort auch weniger schnell Deutsch. Dies ist kein Randphänomen, sondern betrifft eine größere Gruppe. Gelingt es nicht, genügend Kinderbetreuungsmöglichkeiten – für alle Kinder – bereit zu stellen und Akzeptanz für diese Betreuungsmöglichkeit zu schaffen, so ist auf längere Zeit eine bedeutsame Gruppe Geflüchteter aufgrund fehlender Möglichkeiten zum Deutscherwerb von einer umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.


Sie stellen im Forschungsbericht fest, dass neben den Teilnehmenden auch die Lehrkräfte eine wichtige Rolle einnehmen. Erklären Sie uns diese Zusammenhänge doch bitte etwas genauer.

PIETRANTUONO: Die Lehrkraft ist mitentscheidend dafür, ob der Spracherwerb im Kurs erfolgreich verläuft. Die Lehrkräfte stehen hier aber aktuell einigen Herausforderungen gegenüber, insbesondere im Alphabetisierungskurs. Im fachlich-didaktischen Bereich ist es oft schwierig, mit den Lerninhalten zügig genug voran zu kommen, auch aufgrund der angesprochenen multiplen Problemlagen bei Geflüchteten. Lehrkräfte berichten darüber hinaus von Konfliktsituationen, z. B. im Orientierungskurs, und einem hohen Beratungsbedarf der Teilnehmenden, der über sprachliche Themen hinausgeht. Allgemein stellen wir eine sehr hohe Eigenmotivation der Lehrkräfte fest, aber manchen fällt es dennoch schwer, sich täglich neu zu motivieren und über die Sprachvermittlung auch in die nötige Vertrauens- und Beziehungsarbeit zu investieren.

TISSOT: Wir stellen auch fest, dass die Lehrkräfte aufgrund ihrer Aus- und Weiterbildung in der Ausnahmesituation 2015 bis 2018 weniger gut auf diese Herausforderungen vorbereitet waren. Zudem weisen sie nicht immer umfassende Kenntnisse über das Kurssystem und begleitende Beratungsangebote auf. Im betrachteten Zeitraum arbeiteten viele noch mit den inzwischen ausgelaufenen Ausnahmegenehmigungen und ohne die noch erforderlichen Zusatzqualifikationen. Das Auslaufen der Ausnahmegenehmigungen sollte hier jedoch künftig positive Effekte haben. Zudem wurden in der Zwischenzeit auch die Weiterbildungsmöglichkeiten ausgebaut, z. B. zur Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten, die von den Lehrkräften auch stark nachgefragt werden. Insofern sieht es so aus, als ob die schwierigste Phase überstanden ist und die Lehrkräfte nun besser aufgestellt sind, was letztlich dem Kurserfolg auch zugutekommen dürfte.

Kontakt

Dr. Nina Rother

Position: Referatsleiterin

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Welches Fazit ziehen Sie aus den bisherigen Ergebnissen der Studie und wie geht es mit der Studie weiter?

ROTHER: Zunächst einmal freut es uns, dass wir dieses wichtige Projekt zur Evaluation der Integrationskurse auf den Weg gebracht haben und nun erste wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. So können wir die Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung über die Wirkung der Integrationskurse bei Geflüchteten informieren, auf ihre Herausforderungen beim Deutscherwerb aufmerksam machen und Ansatzpunkte für Verbesserungen identifizieren.

Für uns zeigen sich hier zunächst drei Ansatzpunkte. Zentral ist zunächst, ein Bewusstsein für diejenigen Gruppen zu entwickeln, die besondere Problemlagen aufweisen. Dies sind insbesondere Frauen mit kleinen Kindern, Personen mit Erfahrung von Traumata und Personen, bei denen mehrere Problemlagen zusammen kommen. Eine besondere Rolle nehmen hier die Alphabetisierungskurse ein. Weiter kommt beim Spracherwerb den Lehrkräften eine sehr bedeutsame Rolle zu – sie müssen noch fitter werden für die Herausforderungen, denen sie sich gegenüber sehen. Letztlich ist der Integrationskurs eingebettet in ein System von Integrationsangeboten, das u.a. weiterführende Sprachkurse und Beratungsangebote umfasst. Eine Verbesserung der Kenntnis des Systems bei allen Beteiligten sowie eine enge Verzahnung dieser Angebote erscheinen erfolgsversprechend.

PIETRANTUONO: Mit den vorliegenden Daten konnten wir noch nicht all unsere Forschungsfragen klären, daher werden weitere umfangreiche quantitative Befragungen bei fast 8.000 Kursteilnehmenden, Lehrkräften und Trägern durchgeführt. Dazu werden weitere vielfältige qualitative Interviews durchgeführt. Mit dieser verbesserten Datenlage können wir dann – neben einer Vertiefung unserer bisherigen Analysen – erstmals auch erfolgreiche und weniger erfolgreiche Kursverläufe analysieren und herausfinden, woran dies jeweils liegt. Darüber hinaus werden wir die Nachhaltigkeit der Kurse betrachten. Wir können also schauen, ob das erworbene Wissen sowohl im sprachlichen als auch im inhaltlichen Bereich nach einem Jahr noch vorhanden ist oder sogar ausgebaut wurde.

Die vollständige Fassung des Zwischenberichts I finden Sie hier.

Zwischenbericht I zum Projekt "EvIk" Format: Forschungs­bericht

Der Forschungsbericht 33 legt als Zwischenbericht I zum Forschungsprojekt "Evaluation der Integrationskurse (EvIk)" erste Analysen und Erkenntnisse zur Wirkungsweise der Integrationskurse mit besonderem Fokus auf die Teilnehmendengruppe der Geflüchteten vor. Im Fokus des Berichts stehen dabei insbesondere Analysen zu (fluchtspezifischen) Einflussfaktoren auf den Kurszugang und -erfolg.