Ehrenamt ist Ehrensache , Datum: 18.09.2019, Format: Meldung, Bereich: Integration

Taha Abdullatif und Diana Enjeens sind selbst als syrische Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Nun helfen sie in einem Freiwilligenprojekt anderen Geflüchteten bei der Integration. Ein Gewinn für alle Seiten.

Zeinab Khalaf ist dankbar. Ohne Taha würde die 39-Jährige syrische Kurdin das jetzt hier und heute so nicht schaffen: mit ihrem Sohn Yousef, der im Rollstuhl sitzt, und einige komplizierte medizinische Baustellen hat, in ein deutsches Krankenhaus zu gehen und mit dem Arzt die schwierigen Gespräche zu führen über Therapiemöglichkeiten, Spritzen und Medikamente. Ohne Taha würde sie sich erst einmal verloren fühlen. Denn Zeinab Khalaf spricht kaum Deutsch. Taha, der auch Syrer ist, spricht es aber sehr gut. Taha kennt sich außerdem aus, und Taha weiß, an wen man sich wenden muss.

Taha heißt Taha Abdullatif. Er ist 23 Jahre alt und arbeitet in einem Projekt der Freiwilligenagentur aus Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt, einer Non-Profit-Organisation, die auf vielen Gebieten ehrenamtliches Engagement organisiert und koordiniert. Vor drei Jahren kamen Zeinab Khalaf und ihre Familie als Kriegsflüchtlinge nach Halle, sie mit ihrem Mann und vier Kindern. Taha Abdullatif ist nun seit einigen Monaten ihr Lotse, vermittelt von der Freiwilligenagentur. Und da Lotsen normalerweise auf Schiffen zum Einsatz kommen, ist Taha gewissermaßen Zeinab Khalafs Lotse hinein in den sicheren deutschen Hafen. Er ist ihr Integrationslotse.

Brücken bauen für die Integration

"Willkommen in Halle" heißt das Integrationsprojekt, das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und vom Land Sachsen-Anhalt finanziert wurde. Es sind auch Projekte wie dieses, die im Fokus der "Woche des bürgerschaftlichen Engagements" stehen, die bundesweit vom 13. bis zum 22. September 2019 stattfindet. Das Motto der Woche "Engagement macht stark" könnte auch für das Lotsenprojekt in Halle treffender nicht sein: Stark macht es sowohl die Migranten, die von den Ehrenamtlichen betreut werden, als auch die ehrenamtlichen Lotsen selbst. Und es macht die ganze Stadtgesellschaft stark, wenn Integration gelingt.

Die Idee hinter dem Projekt erläutert Ann Borgwardt, eine der Projektleiterinnen: "Geflüchtete helfen Geflüchteten bei der Integration." Sie begleiten sie zu Arztterminen, erledigen mit ihnen Behördengänge oder regeln mit ihnen, welche Schwierigkeit auch immer der Alltag in Deutschland für sie bereithalte. "Menschen, die früher selbst vor ähnlichen Schwierigkeiten standen, haben eine viel größere Sensibilität dafür, wo die Probleme liegen", erklärt Ann Borgwardt. Die Freiwilligenagentur unterstützt zusätzlich mit Schulungen und Kursen. Die Freiwilligenagentur sei Brückenbauerin, um den Geflüchteten gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, erläutert Ann Borgwardt.

2016 startete das Projekt und ist seitdem sehr erfolgreich. 82 Lotsen und Paten arbeiten mittlerweile darin. In drei Jahren wurden bisher über 2300 Zugewanderte in ihrem Alltag begleitet und unterstützt.

Erfolgreiches Projekt, Fortführung wahrscheinlich

Heute besuchen Taha Abdullatif, Zeinab Khalaf und Yousef die Kinderambulanz im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Die katholische Klinik im Stadtzentrum engagiert sich sehr für die Integration von Geflüchteten. "Halt geben. Haltung zeigen." steht groß an der Fassade. Oberarzt Gunhard Bertram von der Kinderklinik des Krankenhauses kennt seinen Patienten Yousef bereits gut. Er flachst mit ihm auf Deutsch herum, und der Junge taut ein bisschen auf, lächelt. Bertram bespricht mit Yousefs Mutter Zeinab, was seit dem letzten Besuch vorgefallen ist, wie sich Yousefs Erkrankung entwickelt hat. Die Therapie für den Jungen, der seit seiner Geburt querschnittsgelähmt ist, muss umgestellt werden. Bertram fragt und erklärt auf Deutsch, Lotse Taha Abdullatif übersetzt ins Arabische, und wenn Yousef gefragt wird, dann muss seine Mutter ihm auch noch ins Kurdische übersetzen. Doch Sprachwirrwarr kommt nicht auf. "Wir haben zwar auch Erfahrung mit solchen Situationen, wenn kein Lotse dabei ist. Irgendeine Lösung für die Sprachbarriere findet sich dann auch", erklärt Oberarzt Bertram. Doch dieses Mal mit Taha Abdullatif als Lotse, sei es perfekt gelaufen. Ein Gewinn für Arzt und Patient.

Wie es mit dem Projekt "Willkommen in Halle" weitergeht, ist noch offen. Der Förderzeitraum endete Ende August 2019. Doch das Projekt ist so erfolgreich, dass zunächst eine Transferfinanzierung durch das Land Sachsen-Anhalt und die Stadt Halle bis Jahresende gefunden wurde. Aktuell werden gemeinsam Perspektiven für eine Fortführung im Jahr 2020 diskutiert.

Drei Frauen stehen an einem Hauseingang. Willkommens-Lotsin Diana Enjeens (r.) begleitet Majdoleen Hasidhe (l.) und ihre Tochter Weaam Qaftan (m.) bei einem Arztbesuch in Halle (Saale). Quelle: BAMF - Knothe

Szenenwechsel: Auch Diana Enjeens ist Lotsin. Sie betreut an diesem Tag Majdoleen Hasedhe und ihre 15-jährige Tochter Weaam. Dass sie eine weibliche, syrische Lotsin ist, hilft den syrischen Frauen, beim manchmal auch schambehafteten Arztbesuch. Auch Majdoleen ist dankbar für die Hilfe. Sie ist erst seit Kurzem in Halle und hat mit dem Ankommen zu kämpfen. Sie will selbst so schnell wie möglich Deutsch lernen, um sich zurechtzufinden. Aber so weit ist es noch nicht. An ihrer Seite wirkt die 25-jährige Lotsin Diana wie ein alter Hase, der sich gut auskennt. "Früher war ich sehr schüchtern, aber das bin ich heute nicht mehr", sagt sie. Sie will vielleicht Journalistin werden. Die Arbeit als Lotsin helfe ihr nicht nur, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie habe ihr Selbstvertrauen und schon viele Einblicke in die deutsche Kultur gegeben, die sie für sich und ihr Fortkommen nutzen will.

Lotse Taha Abdullatif empfindet es ähnlich. Warum er das als junger Mann überhaupt mache? "Weil mich meine Mutter so erzogen hat: Zu helfen, wo ich kann." Ehrenamt ist für ihn Ehrensache.

Text: Felix Knothe