"Tabuisierung ist nie der richtige Weg" , Datum: 16.11.2019, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Ein Frauenporträt Dr. Rebecca Seidler, Liberale Jüdische Gemeinde Hannover Quelle: © privat

Am Samstag, 16. November findet der jährliche internationale Tag für Toleranz statt – in Erinnerung an die Unterzeichnung der UNESCO-Erklärung der Prinzipien zur Toleranz im Jahr 1995. Dr. Rebecca Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover hält diesen Tag für wichtig. Vielen Jüdinnen und Juden in Deutschland begegnet auch 2019 Antisemitismus und Ausgrenzung. Ziel müsse es daher sein, "das ganze Jahr über – auch über diesen Tag hinaus – andere Menschen wertzuschätzen und sich aktiv für gelebte Toleranz einzusetzen." Dafür engagiert sich Dr. Seidler in einem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördertem Projekt, das sich für antisemitismuskritische Bildungsarbeit einsetzt.

"Geh zurück in deine Heimat" oder gar "Rattenbande". Das sind Beschimpfungen mit denen Jüdinnen und Juden in Deutschland auch heute noch konfrontiert werden. Zudem hat die Anzahl der judenfeindlichen Straftaten zugenommen. Im Jahr 2018 waren es mit 1799 Delikten rund 20 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Dr. Rebecca Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover setzt sich mit einem Projekt zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit für mehr Toleranz ein – unterstützt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das Projekt hat gezielt Kinder und Jugendliche sowie Multiplikatoren wie Lehrerinnen und Lehrer im Fokus. In Zusammenarbeit mit Schulklassen, Jugendgruppen und anderen Interessierten gehören unter anderem Synagogenführungen, Gesprächsrunden, Workshops, Vorträge und die antisemitismuskritische Weiterbildung von Lehrkräften zu den Angeboten des Projekts. Hier wird darüber gesprochen, was es überhaupt bedeutet jüdisch zu sein, welche Vorurteile es gibt, wie damit umgegangen werden kann. Es gibt Raum für Fragen, Diskussionen und Austausch. Rund 2.000 Teilnehmende werden so erreicht. Zugleich wächst auch das Netzwerk mit Stadt, Schulen, Kirchen und muslimischen Gemeinden.

Toleranz, das bedeute Wertschätzung, erklärt die promovierte Sozialpädagogin Rebecca Seidler. "Das ist gelebte Demokratie." Und so stehe es auch im Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." In der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover leben Menschen aus 15 Nationen. Diese seien oft doppelter Diskriminierung ausgesetzt – als Personen mit Migrationsgeschichte und als Jüdinnen und Juden. "Es bedarf eines offensiven Handelns gegen diese Form der Menschenfeindlichkeit", sagt Dr. Seidler. Es bedeute: Nicht wegschauen. Und das Thema zur Sprache bringen. Viele Erwachsene, aber besonders junge Menschen trauten sich erst gar nicht mitzuteilen, dass sie jüdisch seien. "Sie versuchen es zu verheimlichen." Daher sei es wichtig zu sensibilisieren, ein jüdisches Selbstbewusstsein zu entwickeln – und auch über antisemitische Vorurteile, Beschimpfungen oder gar Gewalttaten zu sprechen.

Tabuisierung ist nie der richtige Weg!

Dr. Rebecca Seidler, Liberale Jüdische Gemeinde Hannover

Es soll nicht geschwiegen werden, sondern eine Aufarbeitung müsse aktiv stattfinden. Jüdinnen und Juden werde durch die Projektarbeit vermittelt: Ihr seid nicht alleine. Die nichtjüdischen Projektteilnehmenden erfahren die Möglichkeit zur Begegnung. "Durch die Feedbackrunden erhalten wir die Rückmeldung, dass vielen gar nicht bewusst ist, mit welchen Themen sich Juden beschäftigen müssen." Dr. Seidler nähme auch eine große Bereitschaft wahr, beim Abbau von Vorurteilen zu unterstützen. Dies sei etwa möglich durch "emphatisches Zuhören". Wenn etwa in der Schule, am Arbeitsplatz oder der Familie antisemitische Äußerungen stattfinden, "dann registrieren wir, dass Unsicherheit einsetzt. Wir wollen versuchen, diese Sprachlosigkeit zu überwinden." Der gangbare Weg sei, nachzufragen: "Was meinst du damit? – Wir wissen ja von wem die Welt kontrolliert wird – Ja von wem denn?" Es sei wichtig, dass man die Leute mit ihren Aussagen konfrontiert, erklärt Dr. Seidler, und ins Gespräch kommt miteinander – das Schweigen durchbricht. "Was wir mit unserem Projekt fördern wollen, das ist der Beginn einer toleranten Gesellschaft, die nicht übereinander, sondern miteinander spricht."