"Es war eine echte Pionierzeit!" , Datum: 07.12.2020, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betreibt seit 2005 wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen. Susanne Worbs gehört zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Forschungsbereich im Bundesamt mit aufgebaut haben. Sie hat die Entwicklung der Abteilung von Anfang an begleitet. Heute leitet sie das Forschungsfeld III "Migration und Integration: Dauerbeobachtung und Berichtsreihen".

Wir haben mit ihr u.a. über die Anfänge des BAMF-Forschungszentrums sowie die großen Herausforderungen und Veränderungen dieser Abteilung gesprochen.

Frau Worbs, wenn Sie an die Anfänge zurückdenken, welche Erinnerungen haben Sie persönlich daran? Mit welchen Gefühlen denken Sie an diese Zeit zurück?

Susanne Worbs: Ich bin von den heutigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Forschungszentrums tatsächlich die "Dienstälteste" – wir sind am 1. Januar 2005 gestartet. Ich hatte aber schon im April 2004 meine Tätigkeit beim BAMF im Statistikreferat begonnen. Im Sommer 2004 kam das Zuwanderungsgesetz und damit die gesetzliche Aufgabe für das BAMF, Migrationsforschung zu betreiben. Zu diesem Zeitpunkt war das ein völlig neues Aufgabengebiet und es gab nur eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen im Haus, die entsprechende wissenschaftliche Ausbildungen hatten (und nicht unentbehrlich in anderen Referaten waren). Wir konnten uns am Anfang problemlos komplett um einen etwas größeren Tisch versammeln. Uta Saumweber-Meyer, die heute die Abteilung "Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt" verantwortet, hat zunächst die Gruppenleitung übernommen.

Ich persönlich erinnere mich an diese Zeit vor allem als eine sehr offene und spannende. Wir mussten den neuen gesetzlichen Auftrag tatsächlich erst einmal "füllen" und uns fragen: Was bedeutet es, "analytische Aussagen für die Steuerung der Zuwanderung" zu gewinnen? Welche, z.T. einmaligen Datenquellen gibt es dafür im BAMF, wie das bundesweite Ausländerzentralregister (AZR)? Wie positionieren wir uns im Vergleich zu anderen Forschungseinrichtungen, die es ja auch damals schon gab? Wie positionieren wir uns aber auch im eigenen Haus, inmitten einer großen Behörde, was ja ein eher ungewöhnliches Setting für eine Forschungseinrichtung ist? Da wurde viel diskutiert, geplant und auch wieder verworfen. Eine echte Pionierzeit eben!

Was waren die Meilensteine und Ihre persönlichen Leuchtturmprojekte der vergangenen 15 Jahre?

Susanne Worbs: Drei Dinge möchte ich hier nennen: Unsere Forschung zum Thema Einbürgerung und Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht in den Jahren 2010 bis 2012. Dies war und ist ein "Herzensthema", das ich schon von meiner früheren Tätigkeit in Bamberg mitgebracht hatte und das mich bis heute begleitet. Dass ich mit den von uns erhobenen Daten dann 2014 sogar noch promovieren konnte, war ein schöner Höhepunkt.

2014 haben wir auch mit einer weiteren Studie begonnen, an die ich gern zurückdenke, die "BAMF-Flüchtlingsstudie 2014". Das war im Grunde der erste Versuch in Deutschland, geflüchtete Menschen in größerer Zahl mit einem standardisierten Fragebogen zu befragen, weil sich schon in den Jahren zuvor langsam, aber sicher das Steigen der Asylantragszahlen abzeichnete. Wir zogen eine Stichprobe über das AZR und schickten schriftliche Fragebögen in sieben Sprachen an mehrere tausend Menschen in ganz Deutschland, ohne wirklich einen Anhaltspunkt zu haben, ob das funktionieren würde. Aber das tat es – die Resonanz war überwältigend. Manche Befragte legten uns ganze zusätzliche "Briefe" oder Zeichnungen bei und bedankten sich, dass man sich für ihre Lebenssituation interessierte, das hat mich sehr berührt.

Schließlich möchte ich die "Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit" nennen, in die meine Kollegin Nina Rother und ich Anfang 2019 berufen wurden. Dieses Jahr hat die Kommission mit ihren insgesamt 25 Mitgliedern coronabedingt fast ausschließlich virtuell arbeiten müssen. Es war ein riesiger Kraftakt, einen gemeinsamen Bericht zu erstellen, nicht zuletzt auch wegen der Komplexität des Themas und der durchaus unterschiedlichen Sichtweisen der Kommissionsmitglieder. Aber es hat mich sehr bereichert, dabei gewesen zu sein, und nun ist das Ziel der Berichtsveröffentlichung in greifbare Nähe gerückt.

Sie leiten heute das Forschungsfeld III. Welche Projekte sind hier noch geplant oder wurden bereits angestoßen?

Susanne Worbs: In meinem Referat wird unter anderem der jährliche Migrationsbericht der Bundesregierung erstellt – ein Produkt, auf das wir stolz sind, das wir aber auch immer besser machen wollen. Im kommenden Jahr soll die Digitalisierung dieses Berichtes weiter vorangetrieben werden, nachdem wir in diesem Jahr gemeinsam mit unserer Internetredaktion schon viele wichtige Schritte gegangen sind. Daneben warten neue Projekte, unter anderem zur Begleitung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und zur Integration von (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern. Letzteres Projekt bearbeiten wir in Kooperation mit dem Forschungsbereich des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Bei diesem Thema bin ich "Wiederholungstäterin", denn schon 2013 war ich an einem ersten Forschungsbericht des BAMF zu dieser Zuwanderungsgruppe beteiligt – und bin nun gespannt, was sich zwischenzeitlich getan hat.