EMN-Studie: Saisonarbeitskräfte in Deutschland , Datum: 22.12.2020, Format: Meldung, Bereich: Migration und Aufenthalt

Die nationale Kontaktstelle des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN) untersucht in der neuen Studie die Anwerbung und die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitskräften in Deutschland. Im Interview erläutern die Autorin und eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit unter anderem die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen im Hinblick auf die Saisonarbeit in Deutschland.

Saisonarbeitskräfte üben als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeitlich begrenzte Tätigkeiten aus, die an eine bestimmte Jahreszeit (Saison) geknüpft sind. Dies betrifft in Deutschland insbesondere Beschäftigung in der Landwirtschaft und im Gartenbau, im Tourismus oder im Schaustellergewerbe.

Sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Mitgliedstaaten zeigt sich, dass saisonale Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft zu Spitzenzeiten Schwierigkeiten haben, ausreichend inländische Arbeitskräfte zu finden, weshalb sie vorübergehend auf ausländische Saisonarbeitskräfte angewiesen sind.

Im Interview berichten die Autorin Claudia Lechner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der deutschen EMN-Kontaktstelle und des BAMF-Forschungszentrums, und Stefanie Kulla, Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit (Bereich Internationale Beziehungen), über die zentralen Ergebnisse der Studie.

Wie hat sich der Bedarf an Saisonarbeitskräften in Deutschland entwickelt?

Claudia Lechner: Deutschland hatte in der Vergangenheit und hat gegenwärtig einen hohen Bedarf an Saisonarbeitskräften aus dem Ausland. Der hohe Bedarf wurde in der COVID-19 Pandemie besonders deutlich: So fehlten im März 2020 aufgrund der pandemiebedingten Einreisebeschränkungen mehrere zehntausend ausländische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, die nicht durch inländische Arbeitskräfte ersetzt werden konnten.

Anders als in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten wird der Bedarf an Saisonarbeitskräften in Deutschland bisher mehrheitlich mit der Beschäftigung von Unionsbürgerinnen und -bürgern, beispielsweise aus Rumänien, gedeckt. Das könnte sich jedoch in den nächsten Jahren ändern. Denn Arbeitgeberverbände beobachten, dass das Interesse der EU-Bürgerinnen und -Bürger an einer Saisonarbeit in Deutschland zurückgeht. Deshalb ist ein wachsender Bedarf an Saisonarbeitskräften aus Drittstaaten zu erwarten.

Welche Möglichkeiten bestehen für Personen aus nicht EU-Ländern als Saisonarbeitskräfte in Deutschland tätig zu werden?

Eine Frau lächelt in die Kamera. Stefanie Kulla, BA-Mitarbeiterin Quelle: privat

Stefanie Kulla: Während Arbeitskräfte aus den EU-Mitgliedstaaten in Deutschland uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen und dafür keine Arbeitserlaubnis benötigen, gelten für Saisonarbeitskräfte aus Drittstaaten andere Regeln. In Deutschland wurde die EU-Richtlinie zu Saisonarbeitskräften (2014/36/EU) umgesetzt; diese wurde u.a. durch nationales deutsches Recht gemäß §15a Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Beschäftigungsverordnung (BeschV) geregelt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) kann entsprechend spezielle bilaterale Absprachen mit Partnerverwaltungen in interessierten Drittstaaten treffen. Seit Ende 2018 ist die BA ermächtigt, Abkommen zur Anwerbung und Vermittlung von Saisonarbeitskräften aus ausgewählten Drittstaaten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für den Bereich der Landwirtschaft abzuschließen. Anfang 2020 wurde die erste Vermittlungsabsprache mit Georgien abgeschlossen. Die Umsetzung der Kooperationsvereinbarung war als Pilotverfahren ab Mai 2020 geplant, musste jedoch aufgrund der COVID-19 Pandemie auf die Erntesaison 2021 verschoben werden. Es handelt sich um ein dynamisches Politikfeld, indem sich schnell Änderungen ergeben. So steht die BA zur Anbahnung bilateraler Absprachen mit weiteren Drittstaaten wie z. B. Bosnien-Herzegowina, Albanien und jüngst auch mit der Ukraine in Kontakt.

EU-Richtlinie zu Saisonarbeitskräften (2014/36/EU)

In Deutschland können Drittstaatsangehörige gemäß der EU-Richtlinie zu Saisonarbeitskräften (2014/36/ EU), umgesetzt in § 15a der Beschäftigungsverordnung (BeschV), unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen als Saisonarbeitskräfte beschäftigt werden. Grundlage für die Umsetzung der EU-Richtlinie zu Saisonarbeitskräften in Deutschland sind bilaterale Absprachen der Bundesagentur für Arbeit mit den in Frage kommenden Drittstaaten. Die Vermittlung der Saisonarbeitskräfte übernimmt die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

Unter welchen Arbeitsbedingungen können Drittstaatsangehörige als Saisonarbeitskraft in Deutschland beschäftigt werden und wie wird deren Einhaltung überwacht?

Vergleichspublikationen zum Thema

Die Studie wurde von den nationalen Kontaktstellen des EMN, der EU-Kommission sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft konzipiert und von 25 Mitgliedstaaten für ihren jeweiligen Mitgliedstaat erstellt. Die Ergebnisse wurden in einem EU-weit vergleichenden Bericht zusammengeführt, der in einer Kurzfassung EMN-Flash, einer ausführlicheren Fassung EMN-Inform und einer Langfassung EMN-Synthesebericht zum Download bereit steht.

Claudia Lechner: Im Falle von Georgien sind die Arbeitsbedingungen in der bilateralen Vermittlungsabsprache der BA mit dem georgischen Arbeitsministerium festgehalten. Die eingesetzten Arbeitskräfte dürfen nicht zu schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als vergleichbare inländische oder diesen gleichgestellten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer. Für sie gelten alle arbeitsrechtlichen Grundlagen wie z.B. der Mindestlohn und gesetzlich festgelegte Arbeitszeiten genauso. Zum Schutz der Rechte der Saisonarbeitskräfte gibt es klare Regeln, deren Einhaltung ebenso wie bei europäischen Saisonarbeitskräften überprüft werden kann. Beispielsweise wird die Bereitstellung einer angemessenen Unterkunft durch den Betrieb oder die Arbeitsbedingungen mit Arbeitslohn und Urlaub konkret geregelt. Es gibt aber auch ungeklärte Fragen: So ist zum Beispiel die Übertragbarkeit der Sozialversicherungsbeiträge in die Herkunftsländer der Saisonarbeitskräfte nicht bzw. nur für einige Länder geregelt, weil es nicht überall entsprechende bilaterale Sozialversicherungsabkommen gibt.

In der nachfolgenden Downloadbox finden Sie die vollständige Studie "Anwerbung und Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitskräften"


Anwerbung und Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitskräften Format: Working Paper, Dieser Download ist in weiteren Sprachen verfügbar

Die EMN-Studie thematisiert die Maßnahmen der Anwerbung und die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitskräften in Deutschland. Sie gibt eine Übersicht über die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen im Hinblick auf die Saisonarbeit in Deutschland.