Modellprojekt schafft Austausch und Begegnung trotz Distanz ,
Zum Tag der Migrantinnen und Migranten am 18. Dezember blickt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf das Modellprojekt "Zusammen-Leben-Gestalten", das sich den Herausforderungen stellt, die die Corona-Pandemie mit sich bringt. "Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken trotz Distanz": Unter diesem Thema fördert das BAMF mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) insgesamt vier überregionale Modellprojekte. Franziska Kindmann von der Gesellschaft für internationale Wirtschaftsförderung und Management (IWM) leitet das Projekt "Zusammen-Leben-Gestalten" in Thüringen, das mit einer Kombination aus Onlineaustausch und Workshop Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, aber gleichem Wohnort zusammenbringt.
Franziska Kindmann, Koordinatorin des Projekts „Zusammen – Leben – Gestalten: Mit Abstand am besten“
Quelle: privat
Sie wollen mit ihrem Online-Projekt eine Begegnungs-, Austausch- und Gestaltungsplattform für Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte schaffen. Innerhalb von sechs bis acht Wochen bringen Sie jeweils eine Teilnehmergruppe zusammen. In sechs Durchgängen über ein Jahr konnten sie bislang rund 100 Personen erreichen. Was ist der Kern von Zusammen-Leben-Gestalten?
Uns war es wichtig, Austausch und Begegnung mit Aktivität zu verbinden. Die Teilnehmenden sollten sich nicht nur an einen "digitalen Tisch" setzen – nach dem Motto: So, nun bin ich da! Sie sollten etwas miteinander machen.
Am Anfang war ganz wichtig: Ankommen, Teambuilding, Kennenlernen, Vertrauensaufbau. Hier hat sich auch gezeigt, dass es mit kleineren Gruppen einfacher war, zusammen zu arbeiten. Wenn es möglich war, haben wir versucht, die Leute auch nur zu zweit zusammenzubringen. Als die Pandemieregeln etwa das Treffen zweier Personen gestatteten, haben wir zu Stadtspaziergängen im Tandem eingeladen. Das Ziel war, Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen ins Gespräch zu bringen – auch, um Austausch und Perspektivwechsel zu erhalten.
Haus der Möglichkeiten: "Auch eher verrückte Ideen waren hier möglich."
Der nächste Schritt war das Haus der Möglichkeiten. Gemeinsam erarbeiteten die Teilnehmenden ihren idealen Ort. Sie sprachen darüber, was sie sich wünschten und gestalteten dies auch virtuell. So erfuhren sie mehr übereinander: Über ihre Lebenssituation; was sie gerne machen; aber auch, was ihnen an ihrem Wohnort fehlt. Auch eher verrückte Ideen waren hier möglich. Und die Teilnehmenden entdeckten so Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die Frage lautete zu Beginn: "Ihr habt jetzt alle Möglichkeiten der Welt: Wie soll der ideale Ort aussehen?" Und es endete in der Ermunterung, selbst am Wohnort etwas zu machen – initiativ zu werden.
Wir haben auch Vereine und Organisationen am Ende eingeladen, die über ihre Arbeit berichteten und konkrete Angebote aufzeigten. "Bei uns kann man jeden Dienstag Fußballspielen" oder "Bei uns kann man im Stadtgarten ein Beet bewirtschaften". Neben der Förderung der Eigeninitiative wollten wir zeigen, welche Angebote und Begegnungsorte und -arten bereits vorhanden sind.
Beim Malen eines Gruppenbildes im virtuellen Raum konnten die Teilnehmenden mehr voneinander erfahren und Gemeinsamkeiten entdecken.
Quelle: IWM
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass ein Raum für Austausch und Begegnung für Menschen unterschiedlicher Herkunft angeboten wird?
Da gibt es viele Antworten. Aber zwei sind besonders wichtig.
Zum einen: Das Projekt ist speziell unter den Vorzeichen von Corona gestartet. Und neue Kontakte zu finden war und ist extrem dadurch eingeschränkt. Doch gerade für Menschen, die noch nicht so lange an einem Ort wohnen, sind Begegnungen und Kontakte essentiell. Wir wollten ein Angebot schaffen, das auch online funktioniert und trotz der erschwerten Bedingungen möglich ist.
Und die zweite Antwort: Begegnung und Austausch sollen Vorurteile abbauen. Es sollen positive Erfahrungen und Erlebnisse ermöglicht werden, Toleranz geschaffen, neue Perspektiven gesehen und ein Miteinander gestaltet werden.
In der Gesellschaft sollen die Menschen voneinander wissen, nicht über einander reden. Es soll eine gesamtgesellschaftliche Wirkung geben. Wir wollen ein Wir gestalten.
Stichwort "Haus der Möglichkeiten": Viele Dinge haben sich tatsächlich bei den meisten Teilnehmenden wiederholt – unabhängig der Herkunft: Sport, Spiele, Kochen, gemeinsam Musik hören oder machen. Das sind klassische Bereiche, die Menschen zusammenführen. Natürlich, da wir auch von fiktiven Dingen gesprochen haben, kamen: ein Pool, eine Riesenrutsche, ein Auto, eine Villa. Als es um die konkrete Umsetzung ging, kamen Vorschläge wie: "Dann gehen wir einmal zusammen wandern" oder "Wir organisieren einen Spielnachmittag". Die Teilnehmenden nahmen neue Sichtweisen mit – aber lernten auch Gemeinsamkeiten. Es ist nicht nur wichtig, aus welchem Land man kommt.
"Es sind auf jeden Fall Tandem- Partnerschaften – nein Freundschaften – entstanden."
Was sind die Rückmeldungen der Teilnehmenden? Was nehmen sie aus dem Projekt mit?
Wir haben mit der Anmeldung die Teilnehmenden gefragt: "Warum möchtest du mitmachen? Was sind deine Erwartungen?" Und die Antworten waren vielfältig, aber doch ähnlich: "Ich möchte Deutsch im Alltag sprechen", "Ich will neue Kontakte finden", "Ich würde gerne mehr über die Region erfahren, in der ich wohne", "Ich wünsche mir kulturellen Austausch und würde gerne andere Lebensweisen kennenlernen." Und am Ende haben wir gefragt: "Wurden eure Erwartungen erfüllt?" Und wir haben viele positive Antworten bekommen. "Es hat mir auf individueller Ebene die Möglichkeit gegeben, neue Kontakte zu finden", "Ich habe neue Organisationen kennengelernt." Und noch konkreter: Es sind auf jeden Fall Tandem-Partnerschaften – nein Freundschaften – entstanden. Zum Beispiel ist da eine Teilnehmerin aus der Türkei und eine Deutsche, die aber nicht aus Erfurt stammt. Sie kamen zu einer ähnlichen Zeit in der Stadt an, kurz vor dem Lockdown. Es haben sich Menschen kennengelernt, die sich sympathisch finden. Menschen, die sich nun zum Kochen oder Spazieren treffen, die sich sonst nie begegnet wären, da ihr Alltag aneinander vorbeiläuft.
"Kommunikation und Beziehungsaufbau ist online sehr gut möglich – Sprache lernen und Austausch ist in Präsenz leichter."
Ihr Modellprojekt steht unter dem Thema "Gesellschaftlicher Zusammenhalt trotz Distanz" – Was denken Sie, können Sie auch nach der Pandemie aus dem Modellprojekt mitnehmen?
Wenn man sich nicht als Gruppe treffen kann, dann ist online eine super Alternative. Mit dem Sommer gab es plötzlich wieder viele Freizeitmöglichkeiten. Die Leute hatten weniger Lust, online zu bleiben. Kommunikation und Beziehungsaufbau ist online sehr gut möglich, aber Sprache lernen und Austausch ist in Präsenz leichter. Das Treffen online bietet viele Möglichkeiten – vor allem, wenn reale Begegnung eingeschränkt ist. Aber zugleich haben wir gemerkt, dass der Wunsch der Menschen, sich tatsächlich zu sehen – und sei es als Tandem – sehr groß ist.
Bislang hatten wir immer Gruppen, bei denen die Teilnehmenden im selben Landkreis oder Ort gewohnt haben. Uns war es wichtig, dass diese sich, sofern die Pandemie es möglich machte, auch während oder nach dem Projekt treffen können. Dennoch haben wir auch die Idee, in Zukunft Menschen über ihre Region heraus in unserem Projekt zusammenzubringen. Hierfür bietet sich auch ein digitales Format an. Wir arbeiten hierfür gerade an einem Konzept.
Es gibt noch viel Bedarf, damit Menschen sich mehr begegnen. Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr Menschen über vielfältige Formate und Aktionen die Möglichkeit erhalten, sich miteinander zu vernetzen und auszutauschen.