Das Aufnahmeverfahren jüdischer Zuwandernder aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion , Datum: 27.04.2021, Format: Meldung, Bereich: Migration und Aufenthalt , Ein geschichtlicher Überblick

Aufnahme jüdischer Zuwandernder von 1990 bis 2005

Nachdem die Regierung der ehemaligen DDR beschlossen hatte, jüdische Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in der DDR aufzunehmen, wurde die Aufnahme nach der Wende von der Bundesrepublik Deutschland weitergeführt und neu geregelt. Am 9. Januar 1991 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz in Abstimmung mit dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, die Einreise jüdischer Zuwandernder aus der ehemaligen Sowjetunion nach dem "Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommenen Flüchtlinge" (sog. Kontingentflüchtlingsgesetz) zu ermöglichen. Aufgenommen wurden Menschen, die jüdisch sind bzw. mindestens einen jüdischen Elternteil haben – zusammen mit ihren Eheleuten und ihren Kindern. Das Verfahren wurde in Zusammenwirken mit den Bundesländern durch das Auswärtige Amt über die Auslandsvertretungen in den Herkunftsländern der ehemaligen Sowjetunion durchgeführt.

Neue Regelungen der Aufnahme jüdischer Zuwandernder ab dem Jahr 2005

Zeitstrahl der jüdischen Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach DeutschlandGrößer darstellen Quelle: BAMF

Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 wurde die jüdische Zuwanderung neu geregelt, das Kontingentflüchtlingsgesetz entfiel.

Rechtsgrundlage war der geänderte § 23 Abs.2 des Aufenthaltsgesetzes und die auf dieser Grundlage erteilte Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 24. Mai 2007. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde hiermit die Zuständigkeit für die Durchführung des Aufnahmeverfahrens für jüdische Zuwandernde aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten übertragen.

Es wurden neue Voraussetzungen für die Aufnahme in Deutschland geschaffen. Das Aufnahmeverfahren orientierte sich vor allem auch an den Integrationsmöglichkeiten jüdischer Zuwandernder in Deutschland bzw. in einer der hiesigen jüdischen Gemeinden. Die Zentrale Wohlfahrtstelle für Juden (ZWSt) und die Union Progressiver Juden (UPJ) sind bei der Frage der Aufnahmemöglichkeiten in einer der jüdischen Gemeinden in Deutschland eng eingebunden.

Einrichtung eines Beirats Jüdische Zuwanderung

Der Minister des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat im Rahmen der Neuregelung des Aufnahmeverfahrens im Jahr 2005 einen Beirat eingerichtet (Mitglieder sind die Länder, das Auswärtige Amt, der Zentralrat der Juden, die Union Progressiver Juden und das BAMF; Vorsitz obliegt dem BMI). Aufgabe des Beirats ist die Vorbereitung, Begleitung und Überprüfung des Aufnahmeverfahrens. Die laufenden Geschäfte für den Beirat führt das BAMF (Geschäftsstelle des Beirats).

Entwicklung der Zuzugszahlen jüdischer Zuwandernder

Seit 1993 sind über 200.000 jüdische Zuwandernde einschließlich ihrer Familienangehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland zugewandert. Waren es zwischen den Jahren 1995 und 2003 im Durchschnitt pro Jahr über 15.000 Zuwandernde, sank die Zahl in den Folgejahren ab 2006 deutlich ab. Die Ursachen für diesen Rückgang sind heterogen. Ein Zusammenhang dürfte mit im Laufe der Jahre verbesserten Lebensbedingungen in den Herkunftsländern bestehen, aber auch die seit dem Jahr 2005 veränderten Aufnahmebedingungen tragen mit zu dieser Entwicklung bei.

Die politischen Entwicklungen in der Ost-Ukraine haben ab dem Jahr 2014 zu einer Zunahme der Anträge auf Aufnahme in Deutschland geführt. Die Bearbeitung dieser Anträge erfolgt vorrangig, und bei einer Aufnahme ist es in diesen Fällen ausnahmsweise möglich, den Nachweis über Grundkenntnisse der deutschen Sprache innerhalb von zwölf Monaten nach der Einreise zu erwerben (Anpassung der Anordnung des BMI im Januar 2015).

Im Laufe der Zeit wurden die neuen Aufnahmeregelungen immer wieder auf den Prüfstand gestellt und evaluiert.

Nachweis der jüdischen Abstammung

Eine wesentliche Aufnahmevoraussetzung des im Jahr 2005 neu aufgestellten Zuwanderungsverfahren ist der Nachweis der jüdischen Nationalität bzw. der jüdischen Abstammung. Dieser Nachweis erfolgt durch staatliche, vor dem Jahr 1990 ausgestellte Personenstandsurkunden (Geburts-, Abstammungs-, Heirats- oder Sterbeurkunden nach dem deutschen Personenstandsrecht).

Der Nachweis wurde im Jahr 2011 um einige zusätzliche Dokumente erweitert, da aus manchen Personenstandsurkunden die Volkszugehörigkeit „jüdisch“ nicht hervorging, sondern nur die Gesamtschau aller Dokumente die jüdische Zugehörigkeit bzw. Abstammung belegte. Zudem wurde im Jahr 2015 der Abstammungsnachweis auf die Großelterngeneration erweitert - vorher konnte die Abstammung nur von einem jüdischen Elternteil nachgewiesen werden - da die mittlerweile jüngere Generation der jüdischen Zuwandernden ihre Abstammung nur mit Urkunden der Großeltern belegen konnte.

Integrationsprognose

Ein maßgebliches Steuerungselement für die jüdische Zuwanderung ist seit dem Jahr 2005 die sogenannte positive Integrationsprognose. Diese Prognose belegt die Aussicht auf eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes im Falle der Einwanderung nach Deutschland. Die Integrationsprognose wird auf Grundlage eines Punktekataloges getroffen. Als Kriterien für ein hohes Integrationspotential gelten zum Beispiel ein niedriges Lebensalter, die schulische und berufliche Qualifikation sowie die deutschen Sprachkenntnisse. Das familiäre Umfeld und die Mitgliedschaft in einer jüdischen Organisation werden mitberücksichtigt.

Das Punktesystem wurde im Laufe der Zeit mehrfach angepasst.

Mehrfache Anpassung des Punktesystems

Eine umfassende Evaluierung des Punktesystems im Jahr 2009 hat zu einer Erhöhung der maximal erreichbaren Punktzahl beim Alter, sowie der Altersgrenze, bis zu der Punkte vergeben werden, geführt. Zudem wurde eine stärkere Gewichtung von Beschäftigungszeiten in bestimmten qualifizierten Berufen veranlasst.

Im Jahr 2011 gab es eine weitere Verbesserung des Punktesystems für junge gut ausgebildete jüdische Zuwandernde.

Die neueste Anpassung der Integrationsprognose wurde im Jahr 2020 vorgenommen, indem beim Familiennachzug von jüdischen Eltern bzw. Elternteilen und Ehegatten von jüdischen Zuwandernden von einer Integrationsprognose abgesehen wird, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben. Die Integrationsprognose wird auch nicht für volljährige jüdische Kinder mit schwerer Behinderung erstellt, die im Familienverband nach Deutschland einreisen wollen.

Jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland

1990

Ungeregelte jüdische Zuwanderung in die ehemalige DDR

09.01.1991

Beschluss der MPK: Einreise jüdischer Zuwandernder aus der ehemaligen Sowjetunion nach dem sog. Kontingentflüchtlingsgesetz

seit 1993

Einreise von über 200.000 jüdischen Zuwandernden aus der ehemaligen Sowjetunion

01.01.2005

Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes und damit Neuregelung des Aufnahmeverfahrens

ab 2006

Sinkende Antragszahlen

24.05.2007

Erlass einer Anordnung durch BMI zur Regelung des Aufnahmeverfahrens

2009

Evaluierung der Integrationsprognose

2011

Erweiterung der Nachweisdokumente jüdische Volkszugehörigkeit / Abstammung und Erweiterung des Punktesystems der Integrationsprognose für junge, gut ausgebildete jüdische Zuwandernde

ab 2014

Konflikt in der Ostukraine führt erneut zu steigenden Antragszahlen

2015

Erweiterung des jüdischen Abstammungsnachweises auf die Großelterngeneration

2015-2020

Erleichterung bei Familiennachzug und bei der Aufnahme von Erwachsenen mit schwerer Behinderung im Familienverband

2020

Schwankende Antragszahlen