Migration 2020 – Pandemie, Brexit und Fachkräfteeinwanderung , Datum: 12.01.2022, Format: Meldung, Bereich: Migration und Aufenthalt

Jährlich erstellt das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Migrationsbericht der Bundesregierung, zuletzt mit Fokus auf das Jahr 2020. Rahmenbedingungen wie die COVID-19-Pandemie, das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – Stichwort "Brexit" – haben die Migration im Jahr 2020 beeinflusst. Wie prägend diese Faktoren für die Migration insgesamt waren, erfahren Sie im Interview.

Der Migrationsbericht der Bundesregierung informiert auf Basis vieler statistischer Daten über das Migrationsgeschehen in Deutschland und gibt einen umfassenden Überblick über die Wanderungsbewegungen im Berichtsjahr. Die Zu- und Abwanderungen über die deutschen Grenzen hinweg werden detailliert dargestellt und in den Kontext der politischen und rechtlichen Entwicklungen im Berichtszeitraum eingebettet.

Im Interview gehen Dr. Susanne Worbs, zuständige Referatsleiterin im BAMF-Forschungszentrum, und die wissenschaftlichen Mitarbeitenden Özlem Konar und Matthias Huber auf die besonderen Rahmenbedingungen für das Migrationsgeschehen im Jahr 2020 ein.

Wodurch war das Migrationsgeschehen in Deutschland im Jahr 2020 geprägt und welches Fazit ziehen Sie?

Dr. Susanne Worbs: Drei Faktoren waren für das Migrationsgeschehen prägend: die COVID-19-Pandemie, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sowie der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU.

Wie in den meisten Bereichen des öffentlichen Lebens im Jahr 2020 hatte die COVID-19-Pandemie auch einen enormen Einfluss auf das weltweite Migrationsgeschehen. Diese Auswirkungen zeigten sich dann natürlich auch in Deutschland. Sichtbar wurde das vor allem durch die vorübergehend geschlossenen Grenzen. Hiervon war auch der Verwaltungsprozess betroffen. Viele deutsche Auslandsvertretungen mussten den Publikumsverkehr zeitweise begrenzen oder ganz aussetzen und die Bearbeitung von Visumanträgen beschränkte sich zum Teil auf wenige, priorisierte Formen der Migration, so z.B. im Rahmen des "beschleunigten Verfahrens", wie es das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorsieht. Auch in Deutschland war der Zugang zu den Ausländerbehörden begrenzt, sodass Aufenthaltstitel erst mit zeitlicher Verzögerung erteilt wurden. Diese Faktoren trugen dazu bei, dass einerseits die Mobilität der Menschen selbst eingeschränkt wurde, andererseits auch die darauf bezogenen statistischen Erhebungen in Mitleidenschaft gezogen wurden, u.a. durch verzögerte Meldungen im AZR oder in der Wanderungsstatistik.

In der Gesamtbilanz ging die Zuwanderung nach Deutschland deutlich um 23,9 Prozent gegenüber 2019 zurück, auch die Abwanderung sank um 21,5 Prozent. Der Gesamtwanderungssaldo ist aber immer noch positiv, d.h. in der Summe kamen rund 220.000 Menschen mehr nach Deutschland als fortzogen. Wie auch in den Vorjahren war die Migration in Deutschland stark durch innereuropäische Wanderungsbewegungen geprägt.

Als zweiten Faktor erwähnten Sie das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Welche Neuerungen brachte das Regelwerk und welche Effekte sind bereits sichtbar?

Eine Frau lächelt in die Kamera. Özlem Konar Quelle: © BAMF

Özlem Konar: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) trat am 1. März 2020 in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es im Wesentlichen, den Zugang für ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten zu erleichtern. Ein Fokus liegt dabei auf nicht-akademischen Fachkräften mit qualifiziertem Berufsabschluss, da die Nachfrage auf dem deutschen Arbeitsmarkt für diesen Personenkreis sehr groß ist – denken wir nur an den Bereich der Pflege. Die Zuwanderung nicht-akademischer Fachkräfte war vor dem FEG noch relativ stark eingeschränkt, z. B. war eine Vorrangprüfung vorgesehen, die deutschen und EU-Staatsangehörigen einen bevorrechtigten Zugang zu offenen Stellen einräumte. Dies ist nun weggefallen.

Eine Beurteilung des FEG ist allerdings anhand der Daten des Jahres 2020 noch schwierig. Praktisch gleichzeitig mit Inkrafttreten des Gesetzes brach die COVID-19-Pandemie aus, mit all den eben genannten Konsequenzen für die Migration. Insgesamt ging auch die Erwerbsmigration im Vergleich zum Vorjahr erheblich zurück. Außerdem lassen sich die Zahlen zu einzelnen Aufenthaltstiteln der Erwerbsmigration nur noch sehr begrenzt mit denen der Vorjahre vergleichen, da mit dem neuen Gesetz eine Umstrukturierung des Aufenthaltsgesetzes einherging. Unter anderem kamen auch neue Titel zur Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz hinzu. Um die Auswirkungen des FEG auf die Erwerbsmigration besser einschätzen zu können, muss man sich noch etwas gedulden und die Entwicklungen der nächsten Jahre abwarten. Aktuell arbeitet das BAMF-Forschungszentrum aber bereits an einem Begleitforschungsprojekt zum FEG , das mit zur Beantwortung dieser Fragen beitragen soll.

Ende Januar 2020 trat das Vereinigte Königreich nach einem mehrjährigen Verhandlungsprozess aus der Europäischen Union aus. Wie sind Sie im Migrationsbericht damit umgegangen und in welchem Bereich hat sich der Brexit am deutlichsten ausgewirkt?

Matthias Huber: Der offizielle Austritt wurde zwar Ende Januar vollzogen, die EU hat sich aber mit dem Vereinigten Königreich geeinigt, die Freizügigkeit für den Übergangszeitraum bis Ende des Jahres 2020 beizubehalten. Neben der "unterjährigen" Änderung des Mitgliedsstatus ist dies der Hauptgrund, warum wir das Vereinigte Königreich im Migrationsbericht 2020 weitestgehend noch als Mitgliedsstaat der EU behandeln.

In den Wanderungsdaten sind die Auswirkungen in der Phase zwischen dem Austrittsreferendum 2016 und dem erfolgten Austritt 2020 nicht besonders stark sichtbar. Die Zuwanderung britischer Staatsangehöriger nach Deutschland lag in diesem Zeitraum konstant zwischen 11.000 und 12.000 Personen jährlich, die Abwanderung zwischen 6.800 und 9.300 Personen. Deutlicher sind die Effekte bei den Einbürgerungen von Britinnen und Briten in Deutschland. Wer bis spätestens Dezember 2020 einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit gestellt hat, konnte nach der Einbürgerung seinen britischen Pass behalten, wie es auch sonst bei EU-Staatsangehörigen der Fall ist.
Hiervon haben viele bereits in den Jahren vor dem Brexit Gebrauch gemacht. Zwischen 2015 und 2019 stieg die Einbürgerungszahl britischer Staatsangehöriger in Deutschland stark an, von 622 auf 14.600. Im Jahr 2020 gab es jedoch eine Trendumkehr, die Zahl ging um fast zwei Drittel auf 4.930 zurück.


Migrationsbericht 2020 Format: Migrationsbericht

Der Migrationsbericht 2020 enthält neben umfassenden Wanderungsdaten zu Deutschland einen europäischen Vergleich zum Migrationsgeschehen und zur Asylzuwanderung. Er behandelt das Phänomen der irregulären Migration und informiert über die Struktur und Entwicklung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland.