Geflüchtete ziehen zunehmend aus individuellen Gründen um ,
Wie oft, wohin und warum sind Geflüchtete seit ihrer Einreise in Deutschland umgezogen? Die Kurzanalyse "Die Wohnhistorie Geflüchteter in Deutschland" des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) präsentiert neue Ergebnisse auf der Basis der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten.
Wenn es um die Integration von Geflüchteten geht, ist der Wohnort ausschlaggebend. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vor Ort können die Integration beeinflussen. Geflüchtete können allerdings über ihren Wohnort in Deutschland zunächst nicht entscheiden. Es ist gesetzlich geregelt, an welchem Ort und in welcher Unterkunft sie leben. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer und der Anerkennung eines Schutzstatus werden die Einschränkungen jedoch schrittweise gelockert.
Insgesamt ist bisher wenig über das Umzugsverhalten geflüchteter Menschen in Deutschland bekannt. Das ändert sich mit der neuen Studie: Die Kurzanalyse 1/2022 untersucht, wie häufig und aus welchen Gründen Geflüchtete seit ihrer Einreise in Deutschland umgezogen sind und beleuchtet die einschlägigen gesetzlichen Regelungen.
Wir haben mit der Autorin Dr. Kerstin Tanis über die gewonnenen Erkenntnisse gesprochen.
Frau Tanis, wie häufig und aus welchen Gründen ziehen Geflüchtete um?
Dr. Kerstin Tanis
Quelle: BAMF
Kerstin Tanis: Die große Mehrheit der zwischen 2013 und 2016 eingereisten Geflüchteten ist im Befragungsjahr 2019 bereits mehrfach umgezogen. Dies gilt insbesondere für Personen, die vor 2016 eingereist sind und aktuell einen Schutzstatus innehaben. Hinsichtlich des Zeitpunkts des ersten Umzugs lässt sich eine Polarisierung erkennen: Viele Personen verlassen die erste Unterkunft bereits nach weniger als drei Monaten, andere verweilen länger als 18 Monate.
Asylsuchende, Geduldete und Geflüchtete mit Schutzstatus unterliegen in Deutschland verschiedenen gesetzlichen Wohnsitzbeschränkungen. Dies wird auch bei der Analyse der Umzugsgründe deutlich: Rund die Hälfte der Geflüchteten gibt auch mindestens drei Jahre nach ihrer Ankunft an, aufgrund einer behördlichen Anordnung umgezogen zu sein. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer und einer steigenden Anzahl an Personen, die über freie Wohnortwahl verfügen, ist aber eine zunehmende Individualisierung der Umzugsgründe beobachtbar: So geben zunehmend mehr Personen an, umgezogen zu sein, weil sich Freunde oder Bekannte in der Nähe befinden oder weil die Lage praktisch ist.
Wie vielen Personen mit Schutzstatus ist es gelungen, von einer Gemeinschaftsunterkunft in eine Privatunterkunft zu ziehen?
Tanis: Die Analyse der Übergänge von Gemeinschafts- in Privatunterkünfte zeigt, dass der Mehrheit der Geflüchteten dieser Übergang im Jahr 2019 bereits gelungen ist. Jedoch gibt ein nicht zu vernachlässigender Anteil der seit mindestens drei Jahren in Deutschland lebenden Geflüchteten an, noch immer in Gemeinschaftsunterkünften (22 Prozent bzw. 24 Prozent) zu wohnen. Unsere Analysen zeigen, dass es sich hierbei vor allem um Personen handelt, deren Asylantrag nach 2016 entschieden wurde, die eher jünger und kinderlos sind. Umgekehrt gelingt es Geflüchteten mit Kindern und älteren Geflüchteten schneller, in eine Privatunterkunft umzuziehen.
Wie wirkt sich der Umzug auf die Integration der Geflüchteten aus?
Tanis: Bei der Betrachtung der Umzugsdistanz wird deutlich, dass Geflüchtete überwiegend nicht nur die Unterkunft, sondern auch den Wohnort wechseln. Diese Umzüge geschehen mehrheitlich durch behördliche Zuweisung. Welche Konsequenzen diese Ortswechsel mit sich bringen, ist eng mit der jeweiligen Aufenthaltsdauer verbunden: Viele Ortswechsel und kurze Wohndauern können beispielsweise dazu führen, dass Personen nicht in der Lage sind, sich lokal soziale Netzwerke aufzubauen. Denkbare negativen Folgen wären bei häufigen ortsübergreifenden Umzügen daher weniger Möglichkeiten, soziale Kontakte zu schließen oder kontinuierlich an Maßnahmen teilzunehmen, z. B. an einem Integrationskurs. Diese Überlegungen möchte ich in künftigen Studien näher untersuchen.
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Überblick über die aktuell geltenden gesetzlichen Regelungen zur Wohn(ort)mobilität Geflüchteter.
Quelle: BAMF
Datenbasis
Die Kurzanalyse basiert auf der vierten Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus dem Jahr 2019, bei der es eine Zusatzerhebung zur Wohnhistorie gab. An der Zusatzerhebung nahmen 3.750 Personen teil, die in den Jahren 2013 bis 2016 nach Deutschland eingereist sind und einen Asylantrag gestellt haben.
Die Wohnhistorie Geflüchteter in Deutschland
In der BAMF-Kurzanalyse 1|2022 wird unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen untersucht, wie häufig und aus welchen Gründen Geflüchtete seit ihrer Einreise in Deutschland umgezogen sind.
