BAMF-Mitarbeitende unterstützen EUAA bei Auslandseinsätzen in Europa , Datum: 02.05.2023, Format: Meldung, Bereich: Asyl und Flüchtlingsschutz

Die Aufnahme schutzsuchender Menschen in Europa kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn die europäischen Staaten eng zusammenarbeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt deshalb seit vielen Jahren die EU-Asylagentur EUAA (European Union Agency for Asylum) durch Entsendungen von Expertinnen und Experten in europäische Mitgliedstaaten, zum Beispiel nach Griechenland, Italien, Malta, Spanien und Zypern. Seit Kriegsausbruch in der Ukraine sind auch Einsätze in den besonders betroffenen Nachbarstaaten wie Rumänien hinzugekommen.

Die Aufgaben innerhalb eines Einsatzes im Ausland für die EUAA können vielfältig sein: So unterstützen BAMF-Mitarbeitende schwerpunktmäßig bei Registrierungen und Anhörungen von Asylbewerbenden. Die Expertinnen und Experten des Bundesamtes sind vor Ort oft auch als Informationsvermittelnde, Sonderbeauftragte für vulnerable Gruppen, als Trauma-Beauftragte oder Spezialistin bzw. Spezialist für so genannte Dublin-Fälle eingesetzt, bei denen die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaats für das Asylverfahren geprüft wird. Zusätzlich finden im Zuge des deutschen Engagements bei der Aufnahme besonders schutzbedürftiger Personen ("Resettlement") Einsätze von BAMF-Mitarbeitenden im Libanon, in Jordanien, Kenia, Ägypten, im Niger sowie der Türkei statt. Dabei haben sie meist die Aufgabe, die Aufnahme vorbereitende Interviews mit vulnerablen Personen zu führen.

Für Mitarbeitende des Bundesamtes ist die Möglichkeit einer vorübergehenden Tätigkeit im Ausland eine interessante berufliche Perspektive und eine attraktive persönliche Entwicklungsmöglichkeit. Dr. Nadja Eichin und Andrea Kampert waren als Mitarbeiterinnen des Bundesamtes bereits mehrfach im Auslandseinsatz. Im Interview berichten sie von ihren Erfahrungen bei verschiedenen Auslandsentsendungen.

Vorbereitung: Wieso ins Ausland?

BAMF: Frau Kampert, Sie sind im Bundesamt als Entscheiderin sowie Sonderbeauftragte für traumatisierte Geflüchtete und Folteropfer in der Außenstelle Unna tätig. Frau Dr. Eichin, Sie waren mehrere Jahre im BAMF in verschiedenen Bereichen tätig, unter anderem auch als Entscheiderin. Welche Beweggründe hatten Sie beide, sich in den Auslandspool des Bundesamtes aufnehmen zu lassen und so schließlich bereits mehrere Auslandseinsätze zu absolvieren?

Zwei Frauen stehen vor einem Plakat Als Mitglieder der Auslandspools des Bundesamtes waren Nadja Eichin und Andrea Kampert (rechts) mehrfach für das Bundesamt in Resettlement-Verfahren und als Unterstützung der Europäischen Asylagentur EUAA im Auslandseinsatz. Quelle: © BAMF

Als Europäerin empfinde ich es als moralische Pflicht, im Rahmen der europäischen Solidarität Partnerbehörden vor Ort zu unterstützen, wenn diese darum ersuchen.

Nadja Eichin, BAMF

Nadja Eichin: Mich haben internationale Zusammenhänge und Angelegenheiten schon immer interessiert. Ich bin im Dreiländereck Deutschland - Schweiz - Frankreich aufgewachsen und habe sowohl den deutschen als auch den Schweizer Pass. Zudem habe ich ein international ausgerichtetes verwaltungswissenschaftliches Studium absolviert. Als Europäerin empfinde ich es darüber hinaus als moralische Pflicht, im Rahmen der europäischen Solidarität Partnerbehörden vor Ort zu unterstützen, wenn diese darum ersuchen. Ein Auslandseinsatz über die europäische Asylagentur ermöglicht es, einen anderen Blick auf den eigenen Arbeitsalltag in Deutschland zu werfen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen und neue Perspektiven kennenzulernen.

Andrea Kampert: Bevor ich zum Bundesamt kam, wusste ich nicht, dass es die Möglichkeit für Auslandseinsätze gibt. Als ich das dann mitbekommen habe, habe ich mich wahnsinnig gefreut. Es ist sehr interessant, bei einem Auslandseinsatz mittendrin in Zentren des Migrationsgeschehens zu sein und die Geschehnisse vor Ort direkt mitzuerleben. Die Arbeit in einem internationalen Team bei einem EUAA-Einsatz – die Kolleginnen und Kollegen kommen ja von überall her in der EU und den anderen Dublin-Staaten und unterstützen das jeweilige Land – ist toll und spannend. Man kann seinen Horizont erweitern, lernt viele Leute kennen – und die Arbeit macht extrem viel Spaß.

BAMF: Welche Auslandsstationen haben Sie bislang wahrgenommen?

Andrea Kampert: Ich habe 2018 meinen ersten Auslandseinsatz absolviert. Inzwischen war ich bereits drei Mal auf Lesbos und einmal auf Zypern im Zuge eines Einsatzes für die europäische Asylagentur tätig. 2022 war ich zusätzlich für das BAMF innerhalb des Resettlements-Verfahrens im Libanon eingesetzt. Für EUAA-Einsätze wird man heute in der Regel für rund drei Monate entsendet. Die ersten Tage wohnte ich jeweils in einem Hotel, danach in einem eigenen Appartement. Mir gefällt bei Auslandseinsätzen, dass ich in meiner Freizeit auch das Land erkunden und die Leute näher kennenlernen kann. Während der Corona-Pandemie war das nur eingeschränkt möglich: In Zypern haben wir einen wochenlangen Lockdown miterlebt. Da konnten wir dann natürlich nicht so mobil und unternehmungsfreudig sein. Auch im Libanon war dies aufgrund der Sicherheitslage im Vergleich zu den EUAA-Einsätzen nur eingeschränkt möglich.

Nadja Eichin: Ich habe bisher vier Auslandseinsätze hinter mir: Zweimal war ich in Italien, 2020 auf Zypern und 2022 zur Unterstützung von Resettlement-Verfahren ebenfalls in Beirut im Libanon.

BAMF: Was sind die Voraussetzungen für einen Auslandseinsatz, und wie haben Sie sich auf diese Einsätze vorbereitet?

Andrea Kampert: Um in den Auslandspool des Bundesamtes aufgenommen zu werden, muss man neben entsprechender Berufserfahrung unter anderem ausreichende Englischkenntnisse nachweisen, denn beispielsweise laufen die Anhörungen von Geflüchteten auf Englisch, und die Anhörungsprotokolle werden in Englisch verfasst. Idealerweise kann man auch noch weitere Fremdsprachen sprechen. Das Bundesamt und die europäische Asylagentur bieten zudem spezielle Vorbereitungsseminare an: Während es bei der EUAA vorrangig um die Abläufe des Asylverfahrens im jeweiligen Land, aber auch um Sicherheitsaspekte geht, liegt beim Bundesamt der Fokus der Vorbereitung auf Sicherheitsmaßnahmen und psychologischen Aspekten. Denn es kann schon sein, dass man vor Ort in herausfordernde Situationen gerät: In einem Geflüchtetenlager kann die Stimmung aufgewühlt sein, Menschen sind vielleicht verzweifelt, teilweise werden Geflüchtete aus der Haft in die Anhörung geführt. Ich habe mich aber nie unsicher gefühlt.

Nadja Eichin: Die Einsatzvorbereitung im jeweiligen Land ist sehr unterschiedlich. Zum Teil gibt es Einführungsveranstaltungen, die einen Überblick über das nationale Asylsystem und Asylrecht oder die Strukturen vor Ort geben. Die Einarbeitung erfolgt dann sehr praxisnah: So nimmt man beispielsweise an den Anhörungen von Kolleginnen und Kollegen teil, die schon länger vor Ort sind.

Ein Mann und eine Frau stehen in einem Flüchtlingslager Bei Einsätzen der EUAA arbeiten Mitarbeitende aus vielen europäischen Staaten zusammen, um das Aufnahmeland bei der Bearbeitung der Schutzgesuche zu unterstützen. Vielerorts findet die Tätigkeit direkt in den Flüchtlingscamps statt, wie etwa hier auf der griechischen Insel Samos. Quelle: © European Union Agency for Asylum

Vor Ort: Welche Aufgaben warten im Einsatz?

BAMF: Was waren Ihre konkreten Aufgaben im Einsatz?

Andrea Kampert: Bei meinem Einsatz auf Zypern habe ich vor Ort ein Team geleitet. Das war auch eine ganz neue Herausforderung. Ein Teil meiner Tätigkeit bestand darin, mein Team bei den Anhörungen zu unterstützen und zu beraten. In Griechenland habe ich Anhörungen durchgeführt und die so genannten "opinions" dazu erstellt, also die vorläufigen Bescheide, die dann von der jeweiligen nationalen Behörde nochmals geprüft werden.

Nadja Eichin: In Italien lief der EUAA-Einsatz etwas anders ab: Hier war ich vor allem bei der Registrierung und für Interviews eingesetzt. Dabei gehörte auch die dezidierte Prüfung und Identifizierung von Vulnerabilitäten und die Durchführung einer Art Anhörung zur Zulässigkeit des Schutzgesuchs. Außerdem haben wir bereits in verkürzter Form die Gründe für den Asylantrag abgefragt. Aufgrund des kleinen Teams vor Ort habe ich vielfältige Aufgaben wahrgenommen und somit einen recht umfassenden Einblick in die Abläufe bekommen.

BAMF: Nach dem Einsatz auf Zypern 2020 waren Sie im Frühjahr 2022 beide im Libanon. Wie unterschieden sich die beiden Einsätze?

Nadja Eichin: Während es bei den EUAA-Einsätzen vorkommen kann, dass man der einzige Bundesamtsmitarbeitende vor Ort ist, reist man bei den Resettlement-Einsätzen als Teil eines Bundesamtsteams in das Aufnahmeland. Während wir bei EUAA-Einsätzen im Asylverfahren des jeweiligen Landes unterstützen, ging es beim Einsatz im Libanon um die Durchführung des Resettlement-Verfahrens, also die dauerhafte Aufnahme besonders Schutzbedürftiger aus einem Zufluchtsland ohne Integrationsmöglichkeiten oder ohne Rückkehrperspektive ins Herkunftsland. Meine Tätigkeit bestand darin, in einem ersten Prüfschritt anhand von Auswahlgesprächen, dem von UNHCR übermittelten Dossier und idealerweise weiterer verfügbarer Informationen festzustellen, ob Personen, die vom UNHCR für das Resettlement vorgeschlagen wurden, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in Deutschland erfüllen. Grundsätzlich ist das BAMF im Resettlement-Verfahren eine von mehreren involvierten deutschen Behörden.

BAMF: An welchen Einsatz denken Sie häufig zurück – und warum?

Nadja Eichin: Für mich war es der Einsatz 2019 in Florenz, bei dem wir die italienische Ausländerbehörde bei der örtlichen Polizei bei der Abarbeitung unbearbeiteter Asylgesuche unterstützt haben. Zusammen mit einer Interim-Mitarbeiterin der EUAA und einer Dolmetscherin haben wir zu dritt die Ladungen zu den Registrierungen und den Interviews organisiert, diese durchgeführt und mit den Polizisten der Questura z.B. bei Terminen zur Fingerabdrucknahme oder bei der Ausstellung des „Permesso di Soggiorno“ (Aufenthaltstitel) zusammengearbeitet. Dabei konnte ich viel Verantwortung übernehmen.

Jeder einzelne, den wir anhören konnten, hat somit eine Chance bekommen, das Lager vielleicht irgendwann verlassen zu können.

Andrea Kampert, BAMF

Andrea Kampert: Bei mir war es ganz eindeutig 2018/2019 auf Lesbos, da muss ich gar nicht lange nachdenken. Das Lager Moria war damals angesichts eines sehr hohen Zugangs von Geflüchteten überfüllt. Und jeder einzelne, den wir anhören konnten, hat somit eine Chance bekommen, das Lager vielleicht irgendwann verlassen zu können.

Eine Mitarbeitende der EUAA geht mit zwei Kindern zur Flüchtlingsunterkunft Der unmittelbare Kontakt mit Geflüchteten und das Erleben der Lebensumstände in den Aufnahmeländern sind nachhaltige Erfahrungen für die Mitarbeitenden im Auslandseinsatz. Quelle: © European Union Agency for Asylum

BAMF: Was ist als erfreulichstes Erlebnis aus den bisherigen Auslandseinsätzen hängen geblieben?

Andrea Kampert: Für mich ist es wirklich das Arbeiten in einem internationalen Team. Bei einem Einsatz viele neue Leute kennen zu lernen – das ist für mich etwas sehr Besonderes. Man verbringt vor Ort viel Zeit miteinander, auch am Wochenende, denn Familie, Freundinnen und Freunde sind ja in Deutschland.

Nadja Eichin: Ich empfand es als eine sehr wertvolle Erfahrung, neben den vielen neuen Kontakten auch neue Aufgaben oder bekannte Aufgaben in neuer Form zu übernehmen und mich dabei persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Im Einsatzland zu leben, dort zu arbeiten und Kontakt zu den Leuten vor Ort zu bekommen, ist jedes Mal eine tolle Erfahrung.

Persönlich: Welche Erfahrungen bereichern?

BAMF: Im Ausland zu arbeiten ist immer ein berufliches Highlight. Aber in Ihrem Fall auch eine sehr große Herausforderung, oder?

Viele Kolleginnen und Kollegen im Bundesamt werden nach einem Auslandseinsatz zu "Wiederholungstätern", weil sie die Arbeit einfach gerne machen.

Andrea Kampert, BAMF

Andrea Kampert: Ein Auslandseinsatz ist wirklich eine interessante Tätigkeit. Man lernt viel darüber, wie andere Länder ihre Asylverfahren durchführen und in welchen Strukturen sie dabei arbeiten. Manche denken, ein Auslandseinsatz sei ein gut bezahlter Urlaub: Natürlich ist es toll, mehrere Monate auf einer griechischen Insel zu leben. Aber Urlaub ist das definitiv nicht: Das ist ein harter Job und man hat sehr anstrengende Arbeitstage. Als Expertin für vulnerable Antragstellende habe ich auch viele kleine Kinder angehört: Das ist schon sehr herausfordernd und belastend. Und dennoch werden viele Kolleginnen und Kollegen im Bundesamt nach einem Auslandseinsatz zu "Wiederholungstätern", weil sie die Arbeit einfach gerne machen.

Nadja Eichin: Es gibt aber auch einige Kolleginnen und Kollegen, die ein-, zweimal im Aufnahmelager Moria auf Lesbos waren und sagen: „Ich habe das jetzt gesehen, ich weiß, wie es dort abläuft. Aber ich muss nicht wieder dort arbeiten.“ Die unter Umständen schwierigen Bedingungen vor Ort können einen bleibenden Eindruck hinterlassen, den man verarbeiten können muss. Man muss flexibel sein und psychische Belastung aushalten können. Die Fähigkeit zur Resilienz ist sicherlich hilfreich bei einem solchen Einsatz.

Andrea Kampert: Das stimmt. Als ängstlicher Typ ist man in einem Lager wie Moria nicht am richtigen Ort. Es entstehen auch immer mal wieder unerwartete Situationen: Einmal gab es beispielsweise einen Krätze-Ausbruch im Lager. Dann saßen die Antragstellenden alle in weißen Schutzanzügen in der Anhörung. Das war insgesamt nicht schlimm – aber im ersten Moment ungewöhnlich. Unsicher habe ich mich eigentlich nie gefühlt. Das liegt aber sicherlich auch daran, dass wir großartig von unserem Lagezentrum im Bundesamt von Deutschland aus betreut wurden. Einmal gab es beispielsweise ein Erdbeben in Griechenland. Da haben sich die Kolleginnen und Kollegen aus dem Lagezentrum gleich bei uns erkundigt, ob alles in Ordnung ist. Wir hatten zu dem Zeitpunkt auf Zypern noch gar nichts von dem Erdbeben mitbekommen.

Auch wenn Auslandseinsätze insgesamt einen nur geringen Teil meiner Arbeit im Bundesamt ausmachen: Für die Möglichkeit, im Ausland Erfahrungen zu sammeln, bin ich unendlich dankbar.

BAMF: Hatten und haben die Erfahrungen aus dem Auslandseinsatz Einfluss auf Ihre Tätigkeit im Bundesamt?

Andrea Kampert: Natürlich denke ich bei meiner täglichen Arbeit jetzt nicht pausenlos an irgendwelche Auslandseinsätze. Der Einfluss spiegelt sich eher im Kleinen wider: So habe ich beispielsweise ein paar Formulierungen der europäischen Asylagentur übernommen, die ich nun in meinen Anhörungen benutze. Es ärgert mich auch, wenn jemand pauschal sagt, die meisten Geflüchteten kämen nur wegen des Geldes zu uns. Wer einmal die Boote und Schwimmwesten am Strand gesehen hat, wer gesehen hat, wie Geflüchtete von einem gekenterten Schlauchboot aus dem Wasser gerettet werden, hat das als bleibende und bewegende Eindrücke abgespeichert. Umgekehrt weiß ich jetzt aber auch aus eigener Erfahrung, dass Geflüchtete in Griechenland beispielsweise sehr wohl medizinische Behandlung erhalten, wenn sie nötig ist. Die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen helfen, in der Anhörung Vorgetragenes besser einordnen zu können.

Nadja Eichin: Mir geht es ähnlich. Viele Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, haben beispielsweise zuvor bereits einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien gestellt. Durch meine Einsätze an verschiedenen Orten in Italien kann ich viel besser nachvollziehen und bewerten, was Antragstellerinnen und Antragsteller im Asylverfahren über ihre Situation in Italien berichten bzw. was generell über die Situation in den Einsatzländern berichtet wird. Auch die von EUAA in den Einsätzen vermittelten länderunabhängigen Informationen finden natürlich Eingang in die Arbeit beim Bundesamt.