Geflüchtete sind häufiger von sozialer Isolation und Einsamkeit betroffen ,
Eine neue Studie des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) beleuchtet soziale Isolation und Einsamkeit bei Geflüchteten in Deutschland. Sie zeigt, dass Geflüchtete deutlich häufiger von Beziehungsarmut und Einsamkeit betroffen sind als andere Bevölkerungsgruppen.
Der Forschungsbericht 50 untersucht verschiedene Aspekte von sozialer Isolation. Hierzu gehören die fehlende Einbindung in vertrauliche, enge Beziehungen, fehlende Kontakte außerhalb der Familie sowie das Gefühl der sozialen Einsamkeit. Datengrundlage der Untersuchungen ist die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus den Jahren 2016 bis 2022. Um Geflüchtete mit anderen Bevölkerungsgruppen vergleichen zu können, wurden außerdem Umfragedaten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) sowie der Migrationsstichprobe des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und des SOEP in die Analysen mit einbezogen.
Die Autoren, Dr. Jan Eckhard und Dr. Manuel Siegert, wissenschaftliche Mitarbeiter im BAMF-FZ, beantworten im Interview drei zentrale Fragen zum Forschungsbericht.
1. Die Untersuchungen zeigen, dass soziale Isolation unter Geflüchteten vergleichsweise häufig vorkommt. Betrifft dies auch Geflüchtete, die schon länger in Deutschland leben?
Dr. Jan Eckhard
Quelle: © Privat
Dr. Jan Eckhard: Ja – wie unsere Daten zeigen, sind auch Geflüchtete, die beispielsweise bereits seit acht Jahren in Deutschland leben, doppelt so häufig ohne enge Freundschaften wie Personen ohne Migrationshintergrund. Bei Geflüchteten im achten Aufenthaltsjahr liegt der betreffende Anteilswert bei etwa zehn Prozent, bei Personen ohne Migrationshintergrund bei nur etwa fünf Prozent. Auch verändert sich die Verbreitung von Kontaktarmut, also des Fehlens von lockeren Kontakten und Bekanntschaften, mit zunehmender Aufenthaltsdauer der Geflüchteten nur wenig. Anders sieht es aber mit Kontakten zu Deutschen aus: Im Verlauf der ersten fünf bis sieben Jahre nach der Ankunft in Deutschland halbiert sich der Anteil der Geflüchteten, die nie oder nur selten Kontakt zu Deutschen haben.
Ob sich die Verbreitung sozialer Isolation bei noch längeren Aufenthaltsdauern noch weiter zurückgehen wird und immer mehr Freundschaften und persönliche Beziehungsnetzwerke aufgebaut werden, lässt sich mit den Daten jedoch nicht klären. Wir gehen jedoch davon aus, dass soziale Isolation vor allem in den ersten Jahren nach der Migration mit gravierenden Nachteilen für die Geflüchteten verbunden ist. Denn gerade in der Phase des Einlebens und der Neuorientierung dürften Kontakte und persönliche Beziehungen – etwa bei Behördengängen, bei der Wohnungs- und Jobsuche, beim Deutschlernen und bei der Verarbeitung der Erfahrungen und Erlebnissen hilfreich sein.
2. Wie wirkt sich soziale Isolation in der Wahrnehmung der betroffenen Geflüchteten aus?
Dr. Manuel Siegert
Quelle: © BAMF
Dr. Manuel Siegert: Um auch die Wahrnehmung der Geflüchteten berücksichtigen zu können, haben wir uns auch angeschaut, wie häufig sich die Geflüchteten sozial einsam fühlen, also das Gefühl haben, von sozialen Beziehungen ausgeschlossen und nicht Teil der umgegebenen Gesellschaft zu sein. Im Jahr 2021 fühlten sich rund 22 Prozent der Geflüchteten in Deutschland oft oder sehr oft sozial einsam. Bei anderen eingewanderten Personen traf dies hingegen nur auf rund zehn Prozent und bei Personen ohne Migrationshintergrund nur auf rund sechs Prozent zu, Geflüchtete laufen vor allem dann Gefahr, sich sozial einsam zu fühlen, wenn sie wenig in die Aufnahmegesellschaft eingebunden sind. Diskriminierungserfahrungen, ein unsicherer Aufenthaltsstatus und fehlende Kontakte zu Deutschen gehören zu den bedeutsamsten Einflussfaktoren der sozialen Einsamkeit bei Geflüchteten. Darüber hinaus besteht natürlich auch ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und gefühlter Einsamkeit: Je weniger enge Freunde jemand hat, desto häufiger fühlt sich die Person auch einsam.
3. Ergeben sich aus der Studie auch Hinweise darauf, wie man der sozialen Isolation bei Geflüchteten entgegenwirken kann?
Dr. Jan Eckhard: Uns ist wichtig, auf das Problem der sozialen Isolation und gefühlten Einsamkeit bei Geflüchteten aufmerksam zu machen und hierzu belastbare Daten zu liefern. Zudem wollen wir aufzeigen, welche Gruppen unter den Geflüchteten besonders häufig von sozialer Isolation betroffen sind. Integrative Projekte und Unterstützungsmaßnahmen könnten sich hieran orientieren und betreffende Gruppen gezielt in den Blick nehmen. Ein erhöhtes Isolationsrisiko besteht beispielsweise für ältere Geflüchtete, Geflüchtete mit einem niedrigen Bildungsstand und erwerbslose Geflüchtete. Eine weitere Gruppe mit einem erhöhten Isolationsrisiko sind geflüchtete Männer, die ohne Partnerin und Familie in Deutschland leben. Auch diese Geflüchteten berichten häufig davon, dass ihnen eine Bezugsperson fehlt, mit der sie persönliche Gespräche führen können.
Beachtenswert ist aber auch, dass gegenwärtige integrationspolitische Programme bereits zur Reduzierung sozialer Isolation beitragen. Beispielsweise betrifft dies das Integrationskurssystem: Zum einen ist davon auszugehen, dass sich das Erlernen der deutschen Sprache in den Integrationskursen reduzierend auf das Isolationsrisiko auswirkt. Denn das Isolationsrisiko der Geflüchteten ist umso niedriger, je besser die Deutschkenntnisse sind. Zum anderen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Kursteilnahme auch unabhängig vom Lernerfolg förderlich für die soziale Einbindung der Geflüchteten ist. In den Integrationskursen wird eben nicht nur Deutsch gelernt, sondern es werden häufig auch Kontakte geknüpft und Netzwerke aufgebaut.