Studie zu Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland gestartet ,
Mit der neuen "Machbarkeitsstudie zur Im-/Mobilität ausreisepflichtiger Personen in Deutschland
(MIMAP)" nimmt das BAMF-Forschungszentrum erstmals Lebensrealitäten von Menschen ohne Bleiberecht in den Blick. Ziel ist es, Erkenntnisse zu ihren Motiven, Perspektiven und Handlungsspielräumen zu gewinnen, die mit den drei Im-/Mobilitätsoptionen (Verbleib, Rückkehr und Weiterwanderung) in Verbindung stehen. Dr. Lisa Johnson, Laura Peitz und Randy Stache sind von Anfang an mit MIMAP befasst und sprechen im Interview über Chancen.
Der Umgang mit Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland ist immer wieder Thema der politischen Debatte. Es geht um Rückkehr – gefördert und zwangsweise – aber auch um ein Bleiberecht für Menschen, die mitunter seit mehreren Jahren in Deutschland leben und eine Duldung besitzen. So hat die aktuelle Bundesregierung im Koalitionsvertrag für diesen Personenkreis ein "Chancen-Aufenthaltsrecht" vereinbart.
Bleiben, zurückkehren oder weiterreisen? Über die individuellen Perspektiven dieser Menschen ist wenig bekannt. Dies hat verschiedene Gründe, wie die Forschenden, Dr. Lisa Johnson, Laura Peitz und Randy Stache, im Interview schildern.
Was ist bisher über ausreisepflichtige Personen bekannt?
Laura Peitz.
Quelle: © BAMF
Laura Peitz: Über ausreisepflichtige Personen in Deutschland wissen wir bisher kaum etwas, was vor allem daran liegt, dass Personen mit diesem Status im Vergleich zu anderen Gruppen besonders schwer erreichbar sind. Bisherige Analysen von Daten aus dem Ausländerzentralregister (AZR), in dem auch Ausreisepflichtige vermerkt sind, liefern wenige allgemeinere Statistiken, z. B. über die Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen mit Asylbezug (ca. 241.000, Stand 31.12.2021) oder die Herkunftsländer-, Alters-, und Geschlechterverteilung. Aber sie enthalten keine tiefergehenden sozialwissenschaftlichen Informationen über die Lebensumstände und Wanderungsabsichten dieser Menschen. Auch über die Fluktuation und die Wechsel aus der Duldung in andere Aufenthaltsstatus im Zeitverlauf ist bisher nichts bekannt.
Was sind die größten Herausforderungen bei Ihrer Studie?
Dr. Lisa Johnson: Die größte Herausforderung ist der Zugang zur Untersuchungsgruppe. Ausreisepflichtige sind sehr mobil und verbinden möglicherweise mit ihrer Teilnahme an einer Befragung, die durch das BAMF durchgeführt wird, ein hohes Risiko. Um Personen von der Teilnahme zu überzeugen und valide Ergebnisse zu generieren, ist es daher wichtig, das Vertrauen der Untersuchungsgruppe zu gewinnen und den Teilnehmenden größtmögliche Anonymität zu gewähren (z. B. in dem wir davon absehen, Kontaktdaten, wie Name, Wohnort, E-Mailadresse oder Handynummer zu nutzen). Wir versuchen daher zunächst durch eine Vorstudie innerhalb der migrantischen, ursprünglich aus dem anglophonen Westafrika stammenden Community, das Vertrauen zu gewinnen und darauf aufbauend eine Befragung via App durchzuführen, welche so konzipiert ist, dass sie Zugangshürden senkt und die Anonymität der Teilnehmenden wahrt. Eine an den Erstkontakt anschließende Herausforderung ist die Verbreitung der App-Umfrage innerhalb der Untersuchungsgruppe, die über die Weiterempfehlung von bereits Teilgenommenen funktionieren soll.
Und worin sehen Sie die größten Chancen?
Laura Peitz: Das Projekt bietet zunächst einmal großes inhaltliches Potential, da es bisher kaum empirisches Wissen zu Ausreisepflichtigen in Deutschland gibt. Wir möchten die vielseitigen Gründe aufdecken, warum Menschen trotz geringer rechtlicher Bleibe- und Partizipationsperspektiven in Deutschland bleiben, obwohl z. B. geförderte Rückkehrprogramme angeboten werden. Dabei fokussieren wir uns auf die Erwartungen dieser Personen, die sie mit den drei Im-/Mobilitätsoptionen Verbleib, Rückkehr und Weiterwanderung in Verbindung bringen, aber auch auf ihre tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten. Es ergibt sich allein schon ein großer Erkenntnisgewinn daraus, dass wir uns anhand der wenigen verfügbaren Daten, die es bereits zu Ausreisepflichtigen gibt, explizite Status- und Integrationsverläufe anschauen.
Was ist das Besondere an MIMAP?
Randy Stache
Quelle: © BAMF
Randy Stache: MIMAP ist als Machbarkeitsstudie konzipiert. Das heißt, wir erproben einerseits den Forschungszugang zu dieser schwer erreichbaren Untersuchungsgruppe. Andererseits wollen wir aber auch belastbare Ergebnisse auf inhaltlicher Seite liefern. Dieser Spagat erfordert von uns viel Kreativität in der Umsetzung und die Verknüpfung mehrerer wissenschaftlicher Methoden, von denen einige ziemlich innovativ sind. Neben qualitativen und ethnographischen Ansätzen wollen wir in unserer eigenen Befragung eine eigens programmierte App einsetzen, die durch die Teilnehmenden selbst in ihrer Community verbreitet wird. In diesem "Respondent-Driven-Sampling" genannten Verfahren versuchen wir durch die Nachverfolgung der schneeballartigen Verbreitung im Netzwerk eine repräsentative Stichprobe zu erhalten. In der Befragung selbst müssen wir eine geeignete Form finden, um valide nach Rückkehr-, Bleibe- und Weiterwanderungsabsichten zu fragen. Hier könnten den Befragten verschiedene fiktive Szenarien vorgelegt werden, zu denen sie ihre Einschätzungen abgeben müssen. Für uns als Forschende ist es besonders spannend herauszufinden, ob wir es mit diesem Methodenmix und der technischen Unterstützung schaffen, die besondere Untersuchungsgruppe der Ausreisepflichtigen valide zu befragen.