Beratungsanfragen mit Islamismusbezug steigen stark , Datum: 16.02.2024, Ausgabejahr: Nr. 03/2024, Format: Pressemitteilung , Jahresbilanz 2023 der Beratungsstelle Radikalisierung

Mit mehr als 300 Beratungsanfragen stellt die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg im Gesamtjahr 2023 einen neuen Höchstwert fest. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der an der Hotline geführten Beratungsgespräche, die zunehmend komplexer werden, verdoppelt.

Was ist zu tun, wenn das eigene Kind in sozialen Medien Propagandavideos des sogenannten "IS" teilt, Schüler plötzlich ihr Umfeld missionieren oder Mädchen damit beginnen, vom Dschihad zu schwärmen?

Der Beratungsbedarf von Personen, die sich mit Fragen zu islamistischen Radikalisierungsformen an die bundesweite Hotline der Beratungsstelle Radikalisierung wenden, hat sich im vergangenen Jahr stark erhöht. So stieg die Zahl der Beratungsgespräche, die zumeist mit besorgten Familienangehörigen, aber auch vermehrt mit Lehrkräften geführt wurden, im Jahr 2023 auf 313. Dies ist der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre und eine Verdopplung im Vorjahresvergleich. Gleichzeitig nahm die inhaltliche Komplexität der Anfragen zu, während das Durchschnittsalter der (mutmaßlich) islamistisch radikalisierten Personen sank.

"Die Verdopplung des Beratungsbedarfs im Jahr 2023 reflektiert größere Entwicklungslinien. Als bundesweite Erstanlaufstelle haben wir bereits in den vergangenen Jahren ein hohes Niveau an Beratungsanfragen zu Islamismus und Radikalisierung erfasst. Dennoch stellt der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober auch mit Blick auf die Anfragen an der Beratungshotline des Bundesamts einen Einschnitt dar – sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht. Das flexible System aus bundesweiter Erstanlaufstelle im Bundesamt und weitergehender Betreuung vor Ort hat sich im Umgang mit solchen Dynamiken bewährt", bilanziert Florian Endres, Leiter der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes.

Beratungsbedarf von Familien und Schulen am größten

Mehr als die Hälfte der Beratungsanfragen, die das Bundesamt erreichten, stammte im Jahr 2023 aus dem familiären Umfeld mutmaßlich radikalisierter Personen. Hiervon stellten Eltern die größte Gruppe der Ratsuchenden dar. Demgegenüber ging jede fünfte Anfrage auf einen schulischen Kontext zurück. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt ist zudem eine Veränderung der Beratungsinhalte wahrzunehmen. Vielfach sind das Konfliktgeschehen vor Ort, Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit sowie die in der Region aktiven extremistischen Organisationen Gegenstand der Beratungsgespräche. Besonders häufig treten dabei Anrufe von Lehrkräften auf, die Wesensveränderungen bei Schülerinnen und Schülern feststellen. Auch Unsicherheiten im Umgang mit Kommentaren oder Postings mit Bezug zum Nahostkonflikt, die in den sozialen Medien omnipräsent sind, werden von den Ratsuchenden thematisiert.

Sinkendes Durchschnittsalter radikalisierter Personen

Das Durchschnittsalter (mutmaßlich) islamistisch radikalisierter Personen, die Gegenstand der Beratungsarbeit sind, ist im vergangenen Jahr weiter gesunken und beträgt nun etwa 17 Jahre. Zudem ist festzustellen, dass Beratungsgespräche zunehmend auch Kinder und Jugendliche betreffen, die jünger als 13 Jahre sind.

Beratungsnetzwerk aus behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren

Seit ihrer Inbetriebnahme im Januar 2012 gingen annähernd 5.500 Anrufe bei der Beratungshotline des Bundesamtes ein. In einem ersten Beratungsgespräch helfen speziell ausgebildete Beraterinnen und Berater den Ratsuchenden, die für sie oftmals belastende Situation einzuordnen und bieten erste, grundlegende Hilfestellungen. Mehr als 1.300 Fälle wurden nach diesen Erstgesprächen an das bundesweite, vom Bundesamt koordinierte Netzwerk staatlicher und zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen zur möglichen weiteren Betreuung vor Ort übergeben. Bei Bedarf findet so eine weitergehende, individuelle Unterstützung in der Nähe des Wohnorts der ratsuchenden Person statt. Durch sich stetig wandelnden Unterstützungsbedarf ist das Beratungsnetzwerk kontinuierlich gewachsenen und hat zahlreiche neue Präventionsangebote geschaffen.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.beratungsstelle-radikalisierung.de.

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge