Glück und Stolz in den Augen der Frauen , Datum: 25.09.2019, Format: Meldung, Bereich: Integration , Fahrradkurse sind ein wichtiger Baustein des Projekts "Radfahren vereint" – auch beim Frauenzentrum der Stadt Ronnenberg

Fahrradfahren bringt in Bewegung, überwindet Distanzen und stärkt Gemeinschaften. Ein wichtiger Baustein des Projekts "Radfahren vereint" des LandesSportBund (LSB) Niedersachsen im Rahmen des Bundesprogramms "Integration durch Sport" sind deswegen Fahrradkurse für alle Altersklassen.

Puh, ist das wackelig. Narjis Hussein hat ihren rechten Fuß auf die Pedale des schwarzen Klapprads gestellt. Ihre Hände umklammern die beiden Griffe des Lenkers, die Schultern hat sie hochgezogen, den Oberkörper und den Kopf leicht nach vorne gebeugt. Vorsichtig schiebt sie das linke Bein vor und stößt sich ab, das Fahrrad rollt. Schnell stellt sie den linken Fuß wieder ab, stoppt.

"Traut Euch ruhig, richtig Schwung zu holen! Ihr habt die Bremse für den Notfall", ruft Tinka Dittrich. Die Radfahrlehrerin vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) e.V. Region Hannover macht es vor.

Acht Frauen beobachten und probieren es dann selbst aus – manche schon sicher, andere eher ängstlich. Alle haben dasselbe Ziel: Sie wollen lernen, wie man Fahrrad fährt.

Alle Kursteilnehmerinnen haben einen Migrationshintergrund

Narjis Hussein atmet durch, Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn. Man sieht ihr an: Sie möchte das können – doch noch ist ihr das schmale Gefährt ziemlich fremd.

Die 41-jährige Frau hat, ebenso wie die anderen Kursteilnehmerinnen, einen Migrationshintergrund. Sie stammt aus Syrien, ist wegen des Krieges geflüchtet und lebt seit 2013 in Deutschland. Als Kind hatte sie nicht die Möglichkeit, Radfahren zu lernen.

Während ihres Deutschkurses beim Frauenzentrum habe sie davon erfahren, dass ein zweiwöchiger Fahrradkurs für Frauen angeboten werde. Es ist der zweite, den das Frauenzentrum in Kooperation dem Turn- und Sportverein (TuS) Empelde und dem ADFC veranstaltet.

Das Angebot findet im Rahmen des Bundesprogramms "Integration durch Sport", das in diesem Jahr 30-jähriges Jubiläum feiert, statt. Gefördert wird es durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Mitteln des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Das Projekt "Radfahren vereint" wird im Rahmen des Bundesprogramms vom LandesSportBund (LSB) Niedersachsen umgesetzt.

Die Stimmung ist sehr konzentriert

Der Lenker wackelt, doch Narjis Hussein bringt ihn wieder ins Gleichgewicht. Sie erhofft sich viel vom Kurs: "Ich sorge für meine kranke Mutter und habe kein Auto. Mit dem Fahrrad könnte ich viele Dinge einfacher erledigen", sagt sie. Gerne möchte sie bald eine Ausbildung beginnen. Auch dazu wäre es hilfreich, Fahrradfahren zu können.

Inzwischen schwingt sie das linke Bein schon mutiger durch und kommt richtig in Fahrt. Mehrere Runden dreht sie auf dem gepflasterten Platz vor dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr Empelde. "Kommt bitte noch einmal zusammen!", ruft Tinka Dittrich. "Und jetzt die Arme ausschütteln, damit Ihr nicht verkrampft." Die Frauen schütteln und lachen und unterhalten sich ein wenig. Dafür nämlich ist sonst keine Zeit – die Stimmung ist äußerst konzentriert, gesprochen wird kaum.

"Nun geht es ans Bremsen und Absteigen", kündigt die Radfahrlehrerin an und macht die Übung vor: mit einem Fuß Schwung nehmen, beide Füße auf die Pedale, mit der Handbremse bremsen, schräglegen, absteigen.

Zwei Frauen üben Fahrrad zu fahren. Üben, üben, üben: Der gepflasterte Platz vor dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr Empelde ist ideal zum gefahrlosen Rollen und Radeln. Quelle: BAMF | Krings

Aufstehen – und schon geht es weiter

Narjis Hussein guckt aufmerksam zu und probiert es dann selbst. Doch das mit dem linken Fuß auf dem Pedal, das sich immer wieder schrägstellt, will ihr einfach nicht gelingen. Sie zieht den Fuß hoch, verdreht den Lenker und liegt mit einem Schlag samt Fahrrad seitlich auf dem harten Boden. Entmutigen lässt sie sich nicht, ein paar blaue Flecke gehören zum Lernen dazu. Aufstehen, ein bisschen Sortieren, schon geht es weiter.

Zwei Stunden lang trainieren die Frauen auf dem Platz, bis die Lehrerin schließlich ruft: "Schluss für heute! Wir sehen uns morgen wieder, vielen Dank fürs Mitmachen."

Am Schluss wird gemeinsam gefeiert

Der Kurs umfasst insgesamt zehn Vormittage Unterricht. Am letzten Kurstag werden einige Frauen Radfahren können, vielleicht auch Narjis Hussein.

Dann steht nach Verkehrstheorie noch eine gemeinsame kleine Fahrradtour auf dem Programm, die mit einem Fest endet. Die Frauen erwartet ein von der Jugendwerkstatt "Roter Faden Empelde" zubereitetes Buffet und alle bekommen ein Teilnahme-Zertifikat. "Es ist großartig, das Glück und den Stolz in den Augen der Frauen zu sehen", beschreibt Marion Weber, Leiterin des Frauenzentrums.

Kontakt zum Sportverein entsteht

Als kleines Geschenk des LSB gibt’s einen Beutel mit hilfreichem Fahrradreparaturzubehör und einer mehrsprachig aufgelegten Broschüre mit wichtigen Verkehrsregeln dazu. Außerdem wird ein Übungsleiter aus dem TuS Empelde dabei sein und auf das Sportangebot des Vereins aufmerksam machen. Denn für Integration durch Sport und Bewegung bildet der Fahrradkurs erst den Auftakt.

Das Projekt "Radfahren vereint"

Das Projekt "Radfahren vereint" des LandesSportBund Niedersachsen (LSB) besteht seit 2016 und beinhaltet inzwischen vier Bausteine: integrative Fahrradkurse, Trainerschulungen zur Leitung integrativer Fahrradkurse (umgesetzt in Kooperation mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat), integrative Radtouren sowie Großveranstaltungen (Beispiele: "Oldenburg on Tour" 2018 und "Hannover on Tour" 2019).

"Wir wollen mit dem Projekt Menschen in Bewegung bringen, Distanzen überwinden und Gemeinschaften stärken", erklärt Projektleiterin Maike Fiedler vom LSB. Für Radtouren und Fahrradkurse stellt der LSB Sportvereinen und Sportbünden Geld zur Verfügung. Sehr erfolgreich: Seit 2016 wurden bereits 125 Kurse in ganz Niedersachsen angeboten, 28 integrative Radtouren fanden statt.

Text: Sigrid Krings